Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/00

Teil 4: "Psychosomatische Behandlungsmethoden" von Reinhard Plassmann

3. Die Arbeit mit den kreativen Fähigkeiten der Patienten

Durch Aktivierung des Selbsthilfepotentials und durch Gestaltung flexibler Behandlungsebenen kann klinische Therapie so auf die Patienten einwirken, dass sie ein Stück weit aus ihrer Fixiertheit und Hilflosigkeit und damit aus der Bindung an ein Symptom herauskommen.
Um dies zu erreichen, stehen uns eine Reihe von Wirkfaktoren zur Verfügung und zwar: Gestaltung der Rahmenbedingungen und die spezifischen Methoden.

3.1 Die äußeren und inneren Rahmenbedingungen

Der äußere Rahmen einer Klinik – also ihr Standort, ihre Belegung, ihre Aufnahmeregularien, ihre Wartezeiten, die Kosteneigenbeteiligung der Patienten – wirkt bereits auf den Kranken, bevor er noch das Haus betreten hat.
Die enorme Bedeutung der äußeren Rahmenbedingungen bei einer psychosomatischen Klinikbehandlung wird deutlich, wenn man bedenkt, dass jeder Patient zeitlich begrenzt aus seinen sozialen Bezügen zu Familie, Arbeitsplatz und Nachbarschaft herausgelöst und in den neuen Bezug des Behandlungsortes, der Klinik gestellt wird.

Dies ist ein beispiellose Trennungssituation (mit einer Urlaubsreise nicht vergleichbar!), die jeden Patienten seine eigenen, persönlichen Trennungsreaktion, bewältigte und unbewältigte, erneut erleben lässt. In einer Klinik mit entsprechenden therapeutischen Möglichkeiten kommt jeder Patient bei seinen Mitpatienten mit den verschiedenen Phasen der Therapie in Kontakt: dem emotionalen Aufruhr, dessen Bewältigung und Verarbeitung, mit Selbsterfahrung, Unsicherheit, Neuentscheidung und Hoffnung. Dieser innere therapeutische Rahmen einer Klinik verlangt vom Patienten die Entscheidung, ob er die Möglichkeiten und Belastungen der „sprechenden Medizin“, wie er sie bei seinen Mitpatienten wahrnehmen kann, für sich selbst nutzen möchte. Jede Klinik wird gut daran tun, ihren inneren Rahmen so zu gestalten, dass sich der Kontakt zwischen den Patienten intensiviert und diese nicht nur vom Therapeuten, sondern auch vom Mitpatienten lernen.

3.2 Spezifische therapeutische Methoden

Fast alle der häufiger eingesetzten Behandlungsmethoden sind theoretisch fundiert, häufig leiten sich mehrere Methoden von einem einzigen theoretischen Grundkonzept ab. Eine theoriezentrierte Methodenübersicht umfasst

Diesen Behandlungsmethoden gehören zum Teil spezialisierte diagnostische Methoden an, beispielsweise die Verhaltensanalyse, die testpsychologischen Verfahren, das psychoanalytische Interview sowie die ebenfalls spezialisierten Supervisionsmethoden mit verhaltenstherapeutischem, körpertherapeutischem und psychoanalytischem Vorgehen.

Atemtherapie, Gestaltungstherapie und die analytische Einzeltherapie sind typische Vertreter der drei Behandlungsebenen in der Psychosomatischen Klinik. Die Atemtherapie erschließt das Körpersymbol, die Gestaltungstherapie das Bildsymbol, die analytische Einzeltherapie das Wortsymbol.

Atemtherapie:

Die Atemtherapie ist eine vorzügliche, unaufdringliche Methode: Der Patient überlässt sich seiner Atmung, er versenkt sich in sie, er spürt sowohl dieLust am Atmen, am Austauschen, am Kommunizieren, als auch die Blockierungen, Verspannungen, die Ängstlichkeit. Die Atmung ist biologisch einzigartig, dem Körperlich-Vegetativen stark verhaftet und zugleich psychisch (willkürlich und emotional) weitestgehend zu beeinflussen. Die Atmung überbrückt die Distanz zwischen dem emotional-körperlich Unbewussten und dem bewussten Ich. In der Atemtherapie erlebt der Patient, wie ein für unwichtig gehaltenes Tagesereignis oder eine Erinnerung sich auf die Atmung legt, wie der Körper sich verspannt, das Wohlbefinden gestört wird, bis er es bewusst bemerkt und sich löst; dabei begreift er ohne viele Worte, wie psychosomatische Erkrankungen sich bilden.

Gestaltungstherapie:

Die Teilnehmer der Gestaltungstherapie formen aus ihrer Phantasie auf Papier oder aus Ton, Knetmasse, was ihnen spontan zu einem bestimmten Thema einfällt. Jeder drückt dabei – zurückhaltend oder expansiv, farbig oder blass, großzügig oder pedantisch – seine Person im Wechselspiel mit anderen Teilnehmern aus. Gestaltet werden nicht Abbilder von äußeren Objekten wie im Zeichenunterricht, gestaltet werden innere Objekte, Symbole. Während die Atemtherapie also dem Patienten ermöglicht, sich mit dem Bereich der Körpergefühle vertraut zu machen, erschließt die Gestaltungstherapie die bildhafte Phantasie. Werden diese Bilder auch noch besprochen, so ist bereits die Ebene des Wortsymbols erreicht.

Analytische Einzeltherapie:

Sie gilt als die klassische, mit dem Wort arbeitende Methode: der Patient spricht über sich. Was ihn beschäftigt, zeigt sich in der Auswahl der Themen, in der Wahl der Worte, in den Einfällen, in der Art der verwendeten Sprachbilder. Die Kunst des Therapeuten liegt darin, zu verstehen, was den Patienten gerade bewegt, welcher unbewusste Konflikt aus dem Patienten spricht, ohne dass dieser es bewusst weiß.

Die intensivste analytische Therapieform ist die Psychoanalyse; in der begrenzten Zeit der stationären Behandlung kommen jedoch nur die Formen der analytischen Kurztherapie in Frage, mit Konzentration auf den aktuellen vorrangigen blockierenden Konflikt. Angestrebt werden können in 6 bis 8-wöchigen Aufenthalten ca. 10 – 25 Therapiesitzungen. Die Durchführung analytischer Psychotherapie setzt eine sorgfältige Ausbildung und Selbsterfahrung des Therapeuten voraus; er muss mit seinem eigenen Unbewussten ausreichend vertraut sein, um das des Patienten verstehen zu können.

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