Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/00

MS als körperlicher Lösungsversuch

von Sigrid Arnade

Übersicht

Einleitung
Psychoneuroimmunologie (PNI)
Essener Studie: Gruppentherapie hilft
Heimliche Hypothesen zur Psychosomatik der MS
Anmerkung

 


Einleitung

Die Forschungsarbeitsgruppe, die sich nach dem 1. Symposium gründete, nahm im November 1995 die Preisverleihung zum Anlass, sich zum vierten Mal zu treffen und eineinhalb Tage lang zu beraten. Die 15 Anwesenden (sieben Frauen, acht Männer, darunter sieben MS-Betroffene) diskutierten über die prämierten Arbeiten und weitere Themen, die ich in Auszügen vorstellen möchte.

Psychoneuroimmunologie (PNI)

Dr. Peter Henningsen, Neurologe an der psychosomatischen Universitätsklinik Heidelberg und Jurymitglied bei der Stiftung, sprach allgemein über die Psychoneuroimmunologie und erläuterte die Relevanz der etwa 20 Jahre alten PNI-Forschung für die Stiftungsthematik.

Über die Psychoneuroimmunologie sagte Henningsen, es handele sich um eine heterogene Sammlung von Forschungsansätzen ohne generelle Richtung. Wechselwirkungen zwischen Psyche und Immunsystem würden untersucht, wobei das Nervensystem (und auch Hormone) als Mittler dienten. Mit Psychosomatik habe die PNI nicht direkt etwas zu tun. Zum Teil ginge es lediglich um die rein biologischen Zusammenhänge. Insgesamt habe man wenig beweisen können. Populär sei z.B. die Auffassung, dass Lachen gut fürs Immunsystem sei. Aber auch hier fehle der fundierte Nachweis.

Zur Relevanz der PNI-Forschung für die MS-Forschung sagte Henningsen, dass es seitens der PNI keine durchschlagenden Erkenntnisse gebe. Hier existierten auch kaum Studien. Lediglich der Zusammenhang zwischen belastenden Lebensereignissen und einem Schub gelte als gesichert.

Gefunden worden sei eine Korrelation zwischen einer verminderten Zahl von T-Zellen und einer depressiven Stimmungslage der jeweiligen Personen. Dabei ergebe sich jedoch die Frage nach der Kausalität: Reagiert das Immunsystem auf die Depression, oder führt die Veränderung im Immunsystem zur depressiven Verstimmung?

Die Psychoneuroimmunologie berge Vorzüge und Gefahren, sagte Henningsen abschließend. Vorteilhaft sei, dass die Offenheit für Zusammenhänge zwischen Erleben, Verhalten und Krankheit zunehme. Gleichzeitig bestehe die Gefahr, dass alles verwässert und nichts Konkretes gefunden wird. Auf alle Fälle habe die Zahl der Veröffentlichungen, die sich mit psychosomatischen Zusammenhängen beschäftigen, zugenommen, seit die Psychoneuroimmunologie zu den anerkannten Wissenschaften gehört.

Essener Studie: Gruppentherapie hilft

Die Gruppentherapie hilft den Betroffenen, besser mit der Krankheit umzugehen. So lautete das Fazit von Prof. Dr. Arnold Langenmayr, als er über die Therapie von 78 MS-Betroffenen in acht Gruppen Ende der achtziger Jahre im Essener Raum berichtete. Sowohl bei den therapierten Personen als auch bei 50 weiteren Kontrollpersonen seien Tiefeninterviews, psychologische Tests und Fragebögen zur Auswertung herangezogen worden.

Die Therapiegruppen haben, wie der Psychologe berichtete, 15 Monate lang einmal wöchentlich für 90 Minuten stattgefunden. In den ersten drei Monaten sei Autogenes Training geübt worden, gefolgt von einer einjährigen Therapiephase. Die Therapierichtung sei dabei von der jeweiligen Person der TherapeutInnen abhängig gewesen.

Die Therapie ist von den Betroffenen als hilfreich empfunden worden, so Langenmayr. In einer Nachbefragung berichteten die therapierten MS-Betroffenen signifikant seltener über körperliche Verschlechterungen als die Kontrollpersonen. In der Bewertung dieser Ergebnisse bestehe jedoch eine Unsicherheit, räumte Langenmayr ein: Bekannt sei die Tendenz, Therapien positiv zu bewerten.

Auf besonderes Interesse stießen Langenmayrs Ausführungen zum Effekt der Gruppentherapie auf die TherapeutInnen: Sie hätten Ohnmachtsgefühle und innere Spannungen erlebt. Besonders auffällig sei aber die destruktive, aggressive Haltung gewesen. Die TherapeutInnen hätten sich untereinander total zerstritten, mit ihm (Langenmayr) Krach bekommen und hätten sich auch der Supervisorin gegenüber wenig kooperativ, resigniert und passiv verhalten. Diskutiert wurde in der Gruppe, ob die Reaktionen der TherapeutInnen bei und für MS-KlientInnen typisch seien. Diskutiert wurde auch eine Systemverschiebung: Den Betroffenen ging es besser, den TherapeutInnen schlechter.

Heimliche Hypothesen zur Psychosomatik der MS

Da die Gruppe recht heterogen zusammengesetzt ist, wollten die TeilnehmerInnen die eigenen heimlichen Hypothesen zur Psychosomatik der MS offenlegen. Es sollte herausgefunden werden, welche gemeinsame Basis gegeben ist. Um größtmögliche Offenheit zu erreichen, einigte man sich darauf, ohne Namensnennung zu protokollieren.

Übereinstimmend wurde die MS als Lösungsversuch auf der körperlichen Ebene bezeichnet. Ansonsten differierten die Hypothesen, wobei manche Aspekte sich ähnelten und vieles von mehreren TeilnehmerInnen genannt wurde. Insbesondere hinsichtlich der Frage, was wie durch die Krankheit gelöst werden solle, wurden verschiedene Hypothesen angeboten.

Die MS bzw. die MS-Symptome könnten einen Lösungsversuch darstellen

Auch zur Ätiologie der MS wurden verschiedene Hypothesen genannt:

Anmerkungen

Auf Grund mangelnder finanzieller und personeller Kapazitäten hat die Gruppe ihre Arbeit Ende 1995 eingestellt, d. Red.

(Erstveröffentlichung in FORUM PSYCHOSOMATIK 1/96.)

voriger Artikel ** nächster Artikel
Inhalt von FP 1/00 ** FP-Gesamtübersicht
Startseite