Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/00

Teil 2: "Therapie von drei MS-Patentinnen im Rahmen einer psychosomatischen Klinik" von Dieter Olbrich

Therapieverlauf und therapeutische Aspekte

  Pat. 1 Pat. 2 Pat. 3
Tanz- und Bewegungs-Psychotherapie + + +
"Schub"-Angst (+) +++ ++
Krisen im Verlauf Reaktivierung bulimischer (ess-brech-süchtiger) Attacken schubähnliche Symptomatik, 3 neurologische Untersuchungen, Beruhigung Schub, Cortisontherapie
  Thema: Vater Thema: Vater Thema: intensive Hassgefühle auf eigenen Körper, 1 Tag später neurol. Symptome
Abschließende Patientenbewertung Bessere Körperwahrnehmung und Akzeptanz Mutterrolle "realistischer" sehen, (gelockertes Ich-Ideal) Bedürfnisse besser wahrnehmen
reale Konsequenzen: Arbeit verändert (+) +++ ++
Ambulante Psychotherapie ja ja ja

Alle drei Patientinnen nahmen an der Tanz- und Bewegungspsychotherapie teil. Dies war ganz wesentlich mitbestimmt durch ihre eigene Motivation, sich dort verstärkt mit ihrer Körperwahrnehmung auseinandersetzen zu wollen. Zusätzlich erhielten alle drei Patientinnen einzelkrankengymnastische Behandlungen.

Während des Therapieverlaufes fanden sich einige bemerkenswerte Ereignisse bei allen drei Patientinnen: Bei allen spielte die Angst vor einem neuen Schub beziehungsweise vor einer weiteren drastischen Verschlimmerung eine wichtige Rolle, damit einhergehend immer die Phantasie der eigenen Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins, des Sich-nicht-wehren-Könnens, des „Sich-ergeben-Müssens“, wie eine Patientin dies ausdrückte. Ist dies auch tatsächlich eine Realangst, so ist es doch auffällig, dass alle drei Patientinnen im Verlauf der stationären Therapie Krisen erlebten, die in zwei Fällen einhergingen mit einem Schub beziehungseise einer schubähnlichen Symptomatik, in einem Fall mit Reaktivierung bulimische (ess-brechsüchtiger, d. Red.) Attacken. Bei allen drei Krisen war das Team höchst alarmiert, natürlich ebenso die Patientinnen, wobei immer wieder die Frage diskutiert wurde (zumindest in Bezug auf die Schübe), inwieweit die Behandlung bei uns noch möglich oder eine Verlegung notwendig sei, was jedoch in allen Fällen vermieden werden konnte. Eine Patientin entschied sich für eine kurzfristige hochdosierte Cortisontherapie, wobei sie im nachhinein davon sprach, die Cortisontabletten als den „ambivalenten Vater“ erlebt zu haben: einerseits das Gefühl des unbedingten Brauchens, auf der anderen Seite die innere Ablehnung, sich etwas „toxisches“ (giftiges, d.Red.) einzuverleiben. Ausgelöst wurden die Krisen im Falle der ersten zwei Patientinnen, als ihre konflikthafte Vaterbeziehung Thema in der Gruppe wurde und die latenten aggressiven Impulse auftauchten, im Falle der dritten Patientin, als sie in der Gruppe wohl auch im Zusammenhang mit der ambivalenten Vaterbeziehung intensive Hassgefühle auf den eigenen Körper entwickelte. Von allen drei Patientinnen wurde es als wichtig erlebt, sich in dieser Phase auch „an den Neurologen“ als quasi „neutrale Instanz“ wenden zu können, der jedoch gleichzeitig im Gesamtteam, in einem Falle auch in Form meiner Person als Co-Therapeut in der Gruppe präsent war.

Am Beispiel der Patientin 2 mag deutlich werden, dass „der Neurologe“ letztendlich keine neutrale Instanz war, sondern eine phantasierte, teilweise idealisierte, allzeit präsente väterliche Instanz: Im Verlauf einer Therapiewoche kam es bei dieser Patientin zu wiederholten Parästhesien (subjektive Missempfindungen, d.Red.), Sehstörungen, Verschlechterung der Koordinationsstörungen, was dreimal dazu führte, dass die Patientin mich weinend etwa fünf Minuten vor Arbeitsschluss als Neurologen aufsuchte und sehr verängstigt war. Bei den daraufhin durchgeführten neurologischen Kontrolluntersuchungen und dem begleitenden Gespräch wurde jeweils eine ausgeprägte Angstreduktion erreicht, und zum nächsten Tag hin war die Symptomatik völlig abgeklungen. In der Gruppe gelang es der Patientin, die „Sprache ihres Körpers“ in Verbindung zu setzen mit ihrer Biographie und dem unbearbeiteten Konflikt mit dem leiblichen Vater. Das Ergebnis war, dass ein intensiver Trauerprozess einsetzte. Real setzte sie sich zunehmend mit ihrem Ehemann auseinander, traute ihm schließlich auch mehr „Väterlichkeit“ zu, was für sie konkret eine Entlastung bedeutete.

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