Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/00

Krankheitsbezogene Vorstellungsbilder bei Menschen mit Multipler Sklerose

von Ute Krusemark - Vortrag bei der 1. Preisverleihung

Meine Diplomarbeit mit dem Titel „Krankheitsbezogene Vorstellungsbilder bei Menschen mit Multipler Sklerose“ wurde 1990 abgeschlossen und erhält nun den einen Teil des Forschungspreises der Stiftung LEBENSNERV, worüber ich mich sehr freue und wofür ich mich herzlich bedanke.

Die Wahl des Krankheitsbildes der Multiplen Sklerose für meine Diplomarbeit ergab sich damals aus der Beschäftigung meiner Arbeitsgruppe mit Patienteninformationen zu Störungsbildern, die mit dem Immunsystem zusammenhängen. Die Leitung hatte Frau Dr. Teegen von der Universität Hamburg.

Die Grundlage für die Arbeit bildete der therapeutische Ansatz des amerikanischen Arztes Carl Simonton bei der Behandlung Krebskranker. Das Erhebungsdesign orientierte sich an den Untersuchungen von Achterberg und Lawlis, die Vorstellungsbilder Krebskranker nach verschiedenen Merkmalen einschätzten und diese Bildmerkmale in Beziehung zu psychologischen Testdaten setzten.

Die Buchtitel dieser Autoren sind „Wieder gesund werden“ und „Heilung durch Gedankenkraft“.

Ziel für mich war es nun, darzustellen, wie weit MS-Erkrankte ansprechbar sind auf Informationen zu autoaggressiven Störungen ihrer Krankheit, wie weit sich krankheitsbezogene Vorstellungsbilder bei ihnen aktivieren lassen und wie weit ein Zugang anhand der Bilder zu den Erkrankten zu bekommen ist. Ziel war es auch, die Bilder nach spezifischen Kriterien auszuwerten.

Zu dem theoretisch-wissenschaftlichen Hintergrund, den ich in meiner Arbeit zusammengetragen habe, möchte ich hier heute nichts vortragen, also zum Beispiel über die Kapitel zur Bedeutung von Vorstellungsbildern, über Psychoneuroimmunologie oder die Beschreibung des Immunsystems und seiner pathologischen Reaktion bei MS.

Zu meiner Erhebung selbst nun folgendes:
An der Untersuchung nahmen 16 Frauen und 9 Männer teil. Sie waren im Mittel 40 Jahre alt, im Mittel seit 11 Jahren erkrankt und zum größten Teil frühberentet. Die begleitenden psychologischen Tests ergaben, dass die Teilnehmer überwiegend dazu neigten, alltägliche Auseinandersetzungen und den Ausdruck von vor allem aggressiven Gefühlen zu vermeiden.

Die Teilnehmer erhielten eine einfache, verständliche medizinische Information über ihren Krankheitsprozess und die dazu gehörenden Immunreaktionen. Zur anschaulichen Darstellung meines Vortrages verwendete ich Dias, auf denen elektronenmikroskopische Aufnahmen von lebenden Zellen des Immunsystems zu sehen waren oder auch schematische Darstellungen des Nervensystems und seiner Funktionen und Fehlfunktionen. Zur Information konnten auch jederzeit Fragen gestellt werden.

An die Information schloss sich die sogenannte Imaginationsanleitung an. Die Patienten wurden gebeten, sich bequem hinzusetzen, die Augen zu schließen und sich zu entspannen. In diesem entspannten Zustand wurden sie angeleitet, sich ihre Erkrankung vorzustellen, und zwar die Zerstörung der Hülle der Nervenfasern durch eigene Immunzellen, und sie wurden aufgefordert, besonders auf diejenigen Abwehrzellen zu achten, die die Zerstörung erkennen und stoppen können. Am Ende der Imagination wurden die Probanden gebeten, ihre Sinneswahrnehmung als eine Visualisierung, ein Bild, wahrzunehmen und es nach dem Öffnen der Augen zu malen.

Alle Teilnehmer entwickelten persönliche Vorstellungsbilder zu ihrem Krankheitsgeschehen. Es entstanden Bilder mit ausschließlich symbolischen Elementen neben solchen mit geometrischen, abstrakten oder zellähnlichen Formen. Sehr unterschiedlich gestaltet wurde die Beziehung einzelner Bildelemente zueinander. Es gab Bilder mit vollkommen voneinander isolierten Elementen und solche, deren Darstellung eine innere Bezogenheit, einen Handlungsablauf ausdrückten. Man konnte erkennen, dass gut zwei Drittel der Probanden Elemente aus der Information in ihr Bild aufnahmen.

Es ergaben sich klare Zusammenhänge zwischen den Testergebnissen und den Aussagen der Bilder. Teilnehmer, die im Test keine Angst vor Selbständigkeit hatten und sich durch die Erkrankung nicht so belastet fühlten, stellten den autoaggressiven Immunprozess mutig und deutlich dar. Teilnehmer, die eher ein Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit hatten, stellten den selbstzerstörerischen Prozess nur im Ansatz dar.

In einem Einzelgespräch wurden die Teilnehmer ausführlich zu ihren Vorstellungsbildern beraten und angeleitet, heilungsorientierte Vorstellungen zu stärken. Die Beratungsgespräche zeigten, dass mit den Bildern wesentliche Aspekte der Krankheitsbewältigung verknüpft waren und verstehbar wurden. Auch heilungsorientierte Potentiale wurden deutlich. So entdeckten Probanden, dass ihre Hemmzellen passiv, schwach waren oder schliefen. In weiteren Vorstellungsübungen wurden diese Zellen zum Teil aktiviert, gestärkt und an ihre Aufgabe erinnert, den selbstzerstörerischen Prozess zu stoppen und die Krankheitserreger zu beseitigen. Einige Teilnehmer stellten sich auch vor, wie die Umhüllung der Nervenfaser regeneriert.

Für mich hat sich durch diese Untersuchung gezeigt, dass über Vorstellungsbilder zur Erkrankung an Multipler Sklerose ein Blick in das Innere der schwer kranken Menschen geworfen werden konnte und dass die Bilder eine hilfreiche Grundlage in einem Beratungsgespräch sein können. Motivierten Teilnehmern konnte geholfen werden, neue innere Sichtweisen ihres Krankheitsprozesses zu entwickeln.

(Erstveröffentlichung in FORUM PSYCHOSOMATIK, 2/1994.)

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