Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/00

Teil 3: "Symposium zur Psychosomatik der Multiplen Sklerose - Erfahrungen, Konzepte, Perspektiven" von Sigrid Arnade

Körpererfahrung und Krankheitsbewältigung

Ein Erfahrungsbericht über die Arbeit mit MS-Betroffenen

Beate Cöster, Leiterin der Beratungs- und Betreuungsstelle Kassel der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) beschloss mit ihren Ausführungen das dichte Programm des Vormittags. Aus dem umfangreichen Seminarangebot des DMSG-Landesverbandes Hessen bezog sie sich ausschließlich auf die Senimarreihe „Körpererfahrung“, die mit zehn bis zwölf TeilnehmerInnen und zwei PsychologInnen seit einiger Zeit angeboten wird.

In der Therapie wird nach Cösters Angaben mit einem ganzheitlichen Ansatz gearbeitet, der sich an der humanistischen Psychologie orientiert. Dabei konzentriere man sich auf die somatopsychischen Faktoren, die sich nach den ersten Schüben beziehungsweise nach der Diagnosestellung entwickeln. „Ziel ist es, verdrängte und abgespaltene Gefühlsbereiche zu integrieren durch die existenzielle Erfahrung eigener psychophysischer Ganzheit.“

Zunächst traf sich eine Gruppe dreimal jährlich für ein Wochenende. Das hatte den Vorteil der zeitlichen und räumlichen Distanz zu der gewohnten Umgebung. Man setzte sich mit der multiplen Sklerose auseinander, aber nicht wie gewohnt auf der Kopfebene, sondern durch Körper-, Wahrnehmungs- und Entspannungsübungen. Bald stellten die Therapeuten und Organisatoren jedoch fest, dass der therapeutische Effekt gering blieb, weil die zeitlichen Abstände zu groß waren, um die Erfahrungen in das tägliche Leben zu integrieren.

Es wurde ein neues Konzept mit regionalen Gruppen erarbeitet. Im Frühjahr 1991 begann solch eine regionale Gruppe für Neubetroffene in Kassel, die sich im 14-tägigen Abstand traf. Von November ‘92 an ist eine weitere Gruppe geplant, die sich wöchentlich trifft, da die Erfahrungen laut Cöster gezeigt haben, dass auch die 14-tägigen Intervalle zu groß sind.

Beate Cöster ging auf die Diagnosemitteilung ein, die sie als einschneidendes, lebensveränderndes Ereignis bezeichnete. Die zentrale Identität des Betroffenen werde in Frage gestellt. Gefühle von Schock, Ohnmacht, Angst und Ungewissheit würden in dieser Phase häufig beschrieben. Sie bemängelten, dass Neurologen mit der Diagnosemitteilung häufig anscheinend überfordert sind. Mit der Umschreibung „entzündliche Nervenkrankheit“ vermittelten sie den Eindruck einer vorübergehenden Störung. Auf verschiedene Verlaufsformen werde oft gar nicht eingegangen. Oder aber den Patienten würden Broschüren über MS in die Hand gedrückt, womit sie dann alleine blieben.

Sie selbst hält eine Begleitung des Betroffenen nach der Diagnosemitteilung für dringend erforderlich. Es gehe darum, die Ohnmachtsgefühle, „Rollstuhlängste“ und Unsicherheiten, die eine ständige Bedrohung der psychischen und sozialen Stabilität darstellen, auszudrücken und nicht zu verdrängen. In der Körperpsychotherapie versuche man, den MS-Betroffenen zu ermöglichen, sich im eigenen Körper wohlzufühlen. Dazu müsse aber das Stadium der Verdrängung und Verleugnung überwunden werden.

Nach ihrer persönlichen Beobachtung beschrieb Beate Cöster MS-Betroffene als rein rational orientierte, willensstarke, wenig flexible Menschen, denen „der Mut zum Chaos fehlt“. Die Körperpsychotherapie helfe diesen Menschen, ihre körperliche Ganzheit zu erleben und zu verstehen.

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