Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/01

Die Anwendung des Trainigsprogramms zur Visualisierung an der Josef-Wolf-Fachklinik in Nittenau

von Birgit Hertting

Übersicht

Einleitung
1. Allgemein
2. Das Trainingsprogramm
3. Die Visualisierung
4. Fallbeispiele
Kontakt zur Autorin
Literatur

 


Einleitung

D ie Josef-Wolf-Fachklinik für neurologische Rehabilitation in Nittenau ist 1996 vor allem in Hinblick auf MS-Kranke erbaut worden. Die Klinik ist ganzheitlich orientiert, das heißt, sie legt neben den Therapien besonderen Wert auf die zusätzliche Stärkung von neuem Selbstvertrauen und das Schöpfen neuer Kraft und Zuversicht. Das Visualisierungstraining stellt dabei einen Baustein in der psychologischen Betreuung dar.
Das Visualisierungstraining soll auf der Grundlage der psychoneuroimmunologischen Prozesse die Heilungsaktivität anregen und fördern. Zudem bestärkt sie die Auseinandersetzung mit der Erkrankung und deren Bewältigung durch ein integriertes verhaltenstherapeutisches Programm.

1. Allgemein

Das Trainingsprogramm zur Visualisierung geht auf Jungnitsch (1992) zurück, der dieses unter anderm für Patienten mit chronischer Polyarthritis entwickelte. Für Multiple Sklerose-Betroffene wurde dieses Training an der Josef-Wolf-Fachklinik in Nittenau evaluiert (Hertting, 2000). Dort wird es derzeit auch angewendet.
Das Verfahren der Visualisierung hat viele Wurzeln, unter anderm das Biofeedback. Zum ersten Mal für klinische Zwecke und in Form eines Trainingsprogramms wurde die Visualisierung von Simonton, Simonton und Creighton (1982) in der Krebstherapie eingesetzt. In der Behandlung von Krebs ist es bereits ein nicht mehr wegzudenkendes Verfahren, das mehr und mehr auch in Deutschland angewandt wird. Dies ist einer der wesentlichen Grundsteine für das Visualisierungstraining bei chronischer Polyarthritis und bei Multipler Sklerose.
Das Trainingsprogramm zur Visualisierung nach Jungnitsch (1992) beruft sich auf die Leib-Seele-Einheit mit Wechselwirkungen zwischen den Systemen, fundiert auf Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie (PNI). So wird besonders die Wechselbeziehung zwischen Körpergeschehen und psychischer Befindlichkeit hervorgehoben, sowie die günstige Beeinflussung durch positive Einstellungen.

2. Das Trainingsprogramm

Das Trainingsprogramm umfasst insgesamt sechs Sitzungen:
Die ersten drei Sitzungen führen in die Thematik ein und bieten einen Überblick über den Krankheitsprozess und die Zusammenhänge von Psyche und Körper. Es werden Anregungen, Ideen und Gesprächsraum zur Auseinandersetzung mit der Erkrankung und deren Bewältigung geboten. In den weiteren drei Sitzungen wird die Visualisierungstechnik angewendet und vertieft. Die letzte Sitzung bildet ein Abschlussgespräch mit Blick in die Zukunft und dem Setzen neuer Ziele. Neben der Visualisierung lernen die Patienten im Alltag mit Problemen umzugehen, sowie Stresssituationen zu erkennen und zu bewältigen.
In der Praxis sieht es nun so aus, dass der erste Teil des Trainingsprogramms oft in Kleingruppen durchgeführt wird, als sogenannte Anfängergruppe. Der zweite Teil des Trainingsprogramms mit der Durchführung der Visualisierung und weiteren problembezogenen Gesprächen findet als Fortgeschrittenengruppe statt. Hieran können auch Personen teilnehmen, die bereits bei einem vorherigen Aufenthalt an der Klinik an dem Trainingsprogramm teilgenommen haben und zum Üben und Auffrischen der Technik kommen möchten. Ebenso eignet sich diese Aufteilung für Personen, die einen längeren Zeitraum an der Klinik bleiben möchten und die Visualisierungstechnik in der Gruppe weiter durchführen möchten.
Dabei umfasst das Trainingsprogramm in jeder Sitzung Informations- und Gesprächsblöcke sowie praktische Übungen. Von Vorstellungsübungen über eine Phantasiereise hin zu einer Körperreise im entspannten Zustand wird die Visualisierung langsam aufgebaut. Die eigentliche Visualisierung beginnt in der vierten Sitzung. Die Teilnehmer stellen sich im entspannten Zustand ihre Erkrankung und deren erfolgreiche Bekämpfung vor. Eine weitere Vorstellungsübung bildet den Abschluss des Trainingsprogramms. Sie setzt Ziele, Ideen, Wünsche, die Hoffnung geben.
Ziel des Trainingsprogramms ist es, dass der Patient lernt, mit der Strategie der Visualisierung zum einen das Krankheitsgeschehen langfristig positiv zu beeinflussen. Zum anderen soll das psychische Wohlbefinden der Betroffenen gestärkt werden, indem sie lernen, bewusster und positiver mit Ihrem Körper umzugehen.

3. Die Visualisierung

Bei der Visualisierung der Heilung einer Krankheit wird sich so genau wie möglich vorgestellt, wie der Körper, oder eine stellvertretende Vorstellung, die Krankheit bekämpft und gesundet.
Im Fall der MS wird sich eine möglichst bildliche Vorstellung von der Schädigung im zentralen Nervensystem sowie dessen Heilung gemacht. Dies geschieht in einer für den jeweiligen Patienten sinnvollen Weise, das heißt, jeder entwickelt im entspannten Zustand sein für ihn oder sie passendes Vorstellungsbild.

4. Fallbeispiele

Folgende Fallbeispiele entstammen dem aktuellen Training (Namenskürzel geändert). Sie geben einen kleinen Eindruck:

1) Fr. N. kam nach einem akuten Schub (Diagnose MS seit fünf Jahren) auf Rehabilitation mit dem Wunsch, wenigstens wieder eine Zigarette anstecken zu können.
In der Visualisierung baute sie sowohl das körpereigene Cortison als auch das ß-Interferon als Helfer mit in die Vorstellung der Heilung ein. Im Zusammenwirken aller Behandlungen und ihrer optimistischen Einstellung hatte sich ihr sehr starker Schub schnell gebessert, so dass sie sich ihren anfänglichen Wunsch erfüllen konnte und sich neue, größere Ziele steckte.

2) Eine weitere Dame, Fr. L., Mitte 50 mit chronischer Progredienz, kam als Fortgeschrittene zur Auffrischung zu mir in die Gruppe. Sie hat seit über zehn Jahren MS und ausgedehnte Plaques haben sie bereits früh in den Rollstuhl gezwungen. Sie hatte damals an der Studie teilgenommen. Seitdem hatte sie ein Jahr aktiv die Visualisierung durchgeführt, dann passiv die Visualisierungskassetten zur Entspannung gehört.
Bei inaktiven Plaques ist eine Regeneration fast unmöglich, da die zur Remyelinisierung nötigen Gliazellen (med.: Oligodendrozythen, kurz: Ollis) am inaktiven Plaque fehlen. Man kann zwar darauf hoffen, dass sich durch eine bewusste Konzentration auf dieses Gebiet wieder Ollis ansiedeln, realistischer ist jedoch die Vorbeugung weiteren Schadens.
Auch Fr. L. visualisiert vor allem, um eine weitere Verschlechterung zu vermeiden. Sie berichtet von einem Stillstand und erstaunlicherweise von einer Verbesserung: Die Krankheit hat sich nicht verschlechtert und sie meint, die betroffene Hand ist leichter und beweglicher geworden.

Die Visualisierungstechnik ist sicher kein Wundermittel. Eine Wirkung ist auch nur selten in so kurzer Zeit zu sehen. In meiner eigenen Studie wurde der Verlauf über drei Monate beobachtet und verglichen. Die Visualisierungsgruppe zeigte sich dabei signifikant von der Vergleichsgruppe verschieden. In der Untersuchungsgruppe blieb das Krankheitsbild eher konstant und verbesserte sich sogar, während sich das Krankheitsbild bei der Vergleichsgruppe, die nicht an einem Trainingsprogramm zur Visualisierung teilgenommen hatte, eher verschlechterte.
Es heißt nun aber nicht, dass eine Krankheit, die sich über Jahre entwickelt und verfestigt hat, über wenige Wochen Animierung der Selbstheilungskräfte verschwinden kann. Die Multiple Sklerose ist eine chronische Erkrankung. Aber man kann ihr durch die Aktivierung der Selbstheilungskräfte, besserer Integration der Medikamente und ein positiveres Selbst- und Zukunftsbild sicher besser entgegenwirken.

Kontakt zur Autorin

Birgit Hertting
Dipl. Psychologin
Josef-Wolf-Fachklinik für neurologische Rehabilitation
Eichendorffstr. 21
93149 Nittenau
Tel.: (0 94 36) 9 50-830
Fax: (0 94 36) 9 50-919

Literatur

Jungnitsch, G. :
Schmerz- und Krankheitsbewältigung bei rheumatischen Erkrankungen.
Psychologische Hilfen im Einzel- und Gruppentraining.
Quintessenz Verlag, 1992
Simonton, O. C. & Matthews-Simonton, C. & Creighton, J. :
Wieder gesund werden. Eine Anleitung zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte für Krebspatienten und ihre Angehörigen.
Rowohlt-Verlag,1982
Hertting, B. :
Visualisierungsverfahren in der Behandlung bei MS-Patienten.
Eine vergleichende Pilotstudie zum Visualisierungstraining und zum Autogenen Training bei Patienten mit Enzephalomyelitis disseminata.
Diplomarbeit. Universität Regensburg.,2000

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