Zeitschrift für Psychosomatische
MS-Forschung, 11. Jahrgang, 2. Halbjahr 2002
Zusammenfassung der Resultate
Fassen wir die wesentlichsten Resultate zusammen, die zur Bildung von Hypothesen darüber dienen können, bei welchen MSKranken Psychotherapie angezeigt sein könnte:
Insgesamt fanden wir sehr unterschiedliche Auswirkungen von Psychotherapie in Abhängigkeit von familiären Daten, Persönlichkeitsdaten und Krankheitsdaten zu Beginn einer Psychotherapie auf deren Ergebnis und zwar wiederum in den verschiedensten Krankheitsbereichen. Allgemeingültige Auswirkungen sind demzufolge eher nicht die Regel. Diese Situation macht allerdings die Planung und Vorhersagbarkeit der Therapieeffekte bei MS außerordentlich schwierig. Psychotherapie kann bis hinein in den körperlichen Prozess der MS etwas in Bewegung bringen, allerdings hängt dies im Einzelnen von der psychischen und körperlichen Ausgangslage ab. Einige generellere Aussagen, die sich dennoch aus unserer Untersuchung ergeben, sind:
Psychosomatische Faktoren sind besonders dann an der körperlichen Seite der MS beteiligt, wenn eine Beeinträchtigung des Sehens vorliegt. Daher sind auch Sehstörungen ein prognostisch besonders günstiges Kriterium für die Möglichkeit einer Einwirkung auf den Krankheitsprozess der MS mittels Psychotherapie. Möglicherweise ist aber auch in Fällen von Sehstörungen die Motivation zur Therapie größer.
Familiäre und verwandtschaftliche Beziehungen sind für Veränderungen durch die Psychotherapie relevant. Sie haben Auswirkungen auch auf die Verbesserung körperlicher Symptome durch die Therapie (Treppensteigen, Blasenfunktion). Für den Therapeuten ist es wichtig, undurchsichtige Motive für Hilfsbereitschaft im sozialen Umfeld des Kranken zu klären. So stehen familiäre Dankbarkeitserwartungen einer Verbesserung der Blasenfunktion entgegen. Hilfsbereitschaft wirkt gegen die Therapie, wenn sie auf Bedürfnissen basiert, die von Schuldgefühlen, gespannten Beziehungen, Beziehungsängsten und Missbrauch des Kranken gespeist werden. In solchen Fällen ist von der Familie oder Verwandtschaft eher Widerstand gegen die Erreichung größerer Selbständigkeit und größeren Selbstbewusstseins des Kranken und damit gegen die Therapie zu erwarten. Hier empfehlen sich besonders familientherapeutische Ansätze.
Eine Sicht, die die Krankheit in Beziehung zu individuellen Verhaltensweisen bringt, ist für Veränderungen durch die Therapie günstig. Informiertheit über psychosomatische Modelle und Reflexionsfähigkeit (zum Beispiel bei Hochschulabschluss) begünstigen einen stabilen Verlauf. Sehr starke Konzentration auf die organisch-unveränderliche Seite oder auf unveränderliche situative Faktoren behindern die Akzeptanz der MS durch den Kranken und die Therapie.
Für Verbesserungen des körperlichen Leistungsvermögens durch die Therapie ist besonders günstig, wenn der Patient auf Signale der Überforderung achtet und sich entsprechend verhält.
Sehr starke Normenorientiertheit verhindert, dass der Kranke während der Therapie seine Krankheit akzeptieren lernt. Eine sehr starke Tendenz des Patienten zu Extremen andererseits verhindert, dass die Therapie Wirkungen entfalten kann, die der sozialen Umgebung des Kranken helfen, die Erkrankung zu akzeptieren.
Anschrift der VerfasserInnen:
Mine Gözütok,
Diplompsychologin
Dr. Joachim Kosfelder,
Diplompsychologe
Prof. Dr. Arnold Langenmayr,
Diplompsychologe
Universität Essen
Fachbereich 2
Universitätsstr. 11
45117 Essen
* Der vorstehende Artikel, der unter dem Titel "Differentielle Indikation zur Gruppenpsychotherapie bei Multiple-Sklerose-Kranken" zuerst in der "Zeitschrift für Individualpsychologie"
27.Jg. S. 217 - 227 (2002) erschienen ist, wurde durch die Redaktion von FORUM PSYCHOSOMATIK redaktionell bearbeitet. Die vollständige und ausführliche Fassung mit Literaturangaben ist über die Redaktion erhältlich
1 Für die großzügige materielle Unterstützung
unserer Arbeit sind wir der Hertiestiftung sehr dankbar