FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 11. Jahrgang, 2. Halbjahr 2002





Aus unserer Bücherkiste



Maida, Eva: Der große TRIAS-Ratgeber:
Multiple Sklerose. Thieme
Verlagsgruppe, Stuttgart 2002.
266 Seiten, 19,95 Euro
ISBN: 3-8304-3026-4

Mit MS ein gutes Leben führen

"Ich sehe es als wichtige Aufgabe des Arztes an, nicht nur die Krankheitssymptome zu behandeln, sondern auch die Psyche zu berücksichtigen und MS-Kranken und ihren Angehörigen bei der seelischen Bewältigung der Krankheit zu helfen, sozusagen einen Stützpunkt darzustellen, an den sich Betroffene mit allen Fragen, die die MS betreffen, wenden können."
Diese Einstellung der Autorin, Prof. Dr. Eva Maida, die nach eigenen Angaben seit mehr als 25 Jahren Menschen mit Multipler Sklerose betreut, zieht sich wie ein roter Faden durch die Neuauflage des TRIAS-Ratgebers Multiple Sklerose. So orientiert sich dieser ausführliche Ratgeber weitgehend an den Bedürfnissen der Betroffenen und beginnt nicht mit komplizierten medizinischen Erklärungen, sondern mit lebenspraktischen Fragen: Unter der Überschrift "Mit multipler Sklerose (MS) leben" werden im ersten Kapitel unter anderem Fragen zur Alltagsplanung, zum Umgang mit Stress, zu Berufsausbildung, Schule, Hausarbeit, zum Wohnen und zur Ernährung, zur Sexualität und zu Freizeitaktivitäten besprochen. In den folgenden Kapiteln geht es um sozialrechtliche Informationen und die Auswirkungen des Lebens mit der Krankheit auf die Psyche. Erst dann folgen die medizinischen Erklärungen zum Krankheitsgeschehen: Die Veränderungen im Nervensystem werden erklärt, die Symptome erläutert, auf Diagnose, Therapien und aktuelle Forschungsaktivitäten wird eingegangen. Den Abschluss bildet ein Adress- und Literaturverzeichnis.
Die Autorin vermittelt in einer einfachen, sachlichen Sprache, dass man mit MS durchaus ein gutes Leben führen kann, ohne dabei die Krankheit oder ihre Folgen zu beschönigen. Angenehm fällt auch auf, dass sie alternative Therapieformen nicht reflexartig verteufelt, sondern ihre Rolle als Ergänzung zu schulmedizinischen Verfahren beschreibt und lediglich auf einige risikoreiche Methoden hinweist.
Wünschenswert wären noch bessere Informationen, wie man auch mit stärkeren Einschränkungen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen kann. So wird im Kapitel übers Autofahren nicht auf die Möglichkeiten von Handgasnutzung oder Sprachsteuerung hingewiesen. Bedauerlich ist auch, dass im Adressteil lediglich die Adressen der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft und ihrer Partnerorganisationen im deutschsprachigen Ausland aufgelistet sind. Organisationen wie die Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker (MSK e.V.) oder die Stiftung LEBENSNERV fehlen.
Insgesamt wird der Ratgeber durch praktische Beispiele von MS-Betroffenen, durch Kästen, Zusammenfassungen und hervorgehobene Tipps zu einem ausführlichen, gut lesbaren Werk und kann einen Alltagsbegleiter für MS-Betroffene und ihre Angehörigen darstellen, ähnlich wie sich die Autorin selbst als Begleiterin ihrer PatientInnen versteht.

Si

Bernhard Lown: Die verlorene
Kunst des Heilens. Mit einem Geleitwort
von Ulrich Gottstein.
Schattauer-Verlag, Stuttgart 2002,
300 S., 29,95 Euro


Worte, die heilen können

"Herr Doktor Lown, geben Sie Ihren Patienten eigentlich Haschisch?"
"Was!" rief ich völlig überrascht aus.
"Marihuana, Haschisch?" wiederholte sie.
Bestürzt fragte ich sie, wie sie zu solch einer seltsamen Frage komme.
"Die Patienten verlassen Ihr Büro wie unter dem Einfluss von Drogen, auf Wolken schwebend. Wenn sie von außerhalb kommen, fragen sie nach dem besten Restaurant in Boston, weil sie feiern möchten."
Dieses Gespräch mit einer ehemaligen Sekretärin findet sich im Kapitel "Worte, die heilen". Aufgeschrieben in seinem neuen Buch hat es Bernard Lown, Kardiologe von Weltrang und Mitbegründer der "Ärzte gegen den Atomkrieg" (IPPNW). Lown macht sich in seinem Buch "Die verlorene Kunst des Heilens. Anleitung zum Umdenken" zum Fürsprecher einer neuen "Heilkunst", die vor allem auf einer gelungenen Beziehung zwischen ÄrztInnen und PatientInnen beruht. Eine solche Kunst kann oft mehr bewirken als alle Wunder der modernen Medizintechnologie und ist gleichzeitig effektiv im Kampf gegen ausufernde Kosten im Gesundheitswesen. Wesentliche Grundlage für diese Heilkunst sind - Worte: "Wenn gleich die Worte eines Arztes verletzen können - noch viel größer ist ihr Potential zu heilen.... Ich kenne nur wenige Heilmittel, die mächtiger sind als ein sorgsam gewähltes Wort. Patienten lechzen nach Anteilnahme, die in erster Linie durch Worte vermittelt wird. Das Gespräch, das therapeutisch sein kann, wird oft als Werkzeug in der Ausrüstung eines Arztes unterschätzt. Die ärztliche Erfahrung liefert immer wieder Beispiele für die heilende Kraft von Worten."

In seinem Buch, dessen deutsche Ausgabe exklusiv beim Stuttgarter Schattauer-Verlag erschienen ist, schildert Lown ohne moralisierenden Zeigefinger sein ärztliches Wirken, seine Erfahrungen, seine Erfolge, aber auch seine Fehler - auf ebenso unterhaltsame wie bereichernde Weise. Das Buch quillt nahezu über von anschaulichen, lebendigen Berichten, die viele ÄrztInnen und PatientInnen an eigene Erlebnisse in Klinik und Praxis erinnern werden. Nicht fehlen dürfen dabei Kapitel wie "Wie man Ärzte zum Zuhören bringt" oder "den richtigen Arzt aussuchen".
Also, dreimal täglich Lown lesen!

HGH

Uexküll/Geigges/Plasmann
(Hrsg.): Integrierte Medizin.
Modell und klinische Praxis.
Schattauer-Verlag, Stuttgart 2002,
320 S., 35,95 Euro


Krankheit als "Passungsstörung"

Der Nestor der deutschsprachigen Psychotherapie, Thure von Uexküll, hat gemeinsam mit Werner Geigges und Reinhard Plassmann, beide Chefärzte großer psychosomatischer Kliniken, ein Buch über die Medizin geschrieben, die die PatientInnnen konsequent als Subjekt mit einer individuellen Geschichte betrachtet und behandelt. Nach einer theoretischen Einführung in die Zeichentheorie wird anhand von zwölf ausführlichen und detaillierten Fallschilderungen (Kasuistiken) aus unterschiedlichen Feldern der klinischen Medizin (etwa der Inneren Medizin, der Geburtshilfe, der Psychiatrie oder der Umweltmedizin) das Modell einer "Integrierten Medizin" entwickelt: Hierbei werden die PatientInnen nicht mehr in einen kranken Körper ohne Seele und eine beschädigte Seele ohne Körper "gespalten", sondern der ganze Mensch steht im Mittelpunkt des diagnostischen und therapeutischen Prozesses.

Thure von Uexküll hat mit seinen SchülerInnen und WeggenossInnen die Methode der "Reflektierten Kasuistik" geschaffen und stellt sie in diesem Buch vor; eine Weiterentwicklung der Balintgruppenarbeit, die den theoretischen Hintergrund des ärztlichen Handelns mit berücksichtigt. Die bewährte Tradition der Krankengeschichte in der Medizin wird so neu belebt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht das sogenannte "autobiographische Narrativ", das also, was die PatientInnen über sich selbst erzählen und das Herstellen einer gemeinsamen Wirklichkeit in der Beziehung zwischen ÄrztInnen und PatientInnen - auch als "Passung" beschrieben. Auch wenn es keine Fallschilderung zur Multiplen Sklerose gibt, ist das Buch wegen seiner grundsätzlichen Aussagen zur "Integrierten Medizin" ein guter und anspruchsvoller Beitrag zur Neuorientierung im herkömmlichen Medizin-System. Man muss sich jedoch zum Lesen einige Zeit nehmen und auch Gefallen an der theoretischen Grundlegung des praktischen Handelns finden.

HGH

Volker Tschuschke: Psychoonkologie.
Psychologische Aspekte der
Entstehung und der Bewältigung
von Krebs. Schattauer-Verlag,
Stuttgart 2002, 259 S. 35,95 Euro

Neues aus der Psychoimmunologie

Schon häufiger ist in FORUM PSYCHOSOMATIK der Begriff Psychoneuroimmunologie (PNI) aufgetaucht, in manchen Veröffentlichungen auch nur kurz Psychoimmunologie genannt. Man versteht darunter eine relativ junge Wissenschaftsdisziplin, die die Zusammenhänge zwischen dem "Erlebenssystem" (also der Psyche) und dem Immun- und Nervensystem untersucht. Für die Forschung im Bereich "Psyche und Multiple Sklerose" also eine äußerst interessante Disziplin, in der es für die Aufgabenstellung der Stiftung LEBENSNERV leider noch zu wenige handfeste Aussagen gibt.
Nun hat Volker Tschuschke, Lehrstuhlinhaber für medizinische Psychologie an der Universität Köln, ein neues Buch zum Verhältnis von "Psyche und Krebs" geschrieben, das wir Ihnen wegen der vergleichbaren Fragestellung für MS kurz vorstellen wollen. Vorweg: Es ist für medizinische Laien kein einfach zu lesendes Buch, in dem der aktuelle Forschungsstand zu den Fragen einer möglicherweise psychosozial bedingten Krebsentstehung und dem Verlauf beschrieben wird. Leichter verständlich sind die Fallschilderungen (Kasuistiken), die den letzten Teil des Werkes bilden.
Das Fazit aus diesen Berichten fasst Tschuschke wie folgt zusammen:
"Die drei hier geschilderten Schicksale Betroffener legen die Vermutung von irgendwie gearteten Beziehungen zwischen der Erkrankung und dem weiteren Verlauf derselben aufgrund von eigenen eingesetzten psychischen Ressourcen bzw. sozial-emotionaler Unterstützung nahe... Die extrem komplexen Zusammenhänge zwischen physischer Substanz und psychischen Prozessen und geistig-seelischer Haltung, die sich gleichwohl in organismisch wirksame Substanzen transformiert, überlassen der Zukunft die vielfältigsten Forschungsansätze und Erkenntnismöglichkeiten, die zum Wohle des Kampfes gegen die 'Geißel Krebs' genutzt werden können. Krebs und Krebs sind nicht dasselbe. ... Dennoch ist der psychoonkologische Ansatz sehr vielversprechend, einen weiteren Faktor ins Spiel zu bringen und ihn zu beachten, der zu lange völlig missachtet oder vernachlässigt wurde, der aber im "Konzert" mit den anderen bekannten Faktoren der Krankheitsentstehung und -beeinflussung eine Rolle spielt: der psychosoziale und erlebensbezogene Bereich der betroffenen Person."
Soweit das Thema Krebs. Da die Multiple Sklerose ja auch eine (wenngleich gegensätzlich gelagerte) Autoimmunerkrankung ist, wäre auch auf diesem Gebiet eine solche Publikation wünschenswert. Leider ist uns kein vergleichbares Werk bekannt. Falls Ihnen als LeserIn ein solches Buch bekannt ist, freuen wir uns über einen entsprechenden Hinweis.

HGH

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