Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/03


Große Hoffnung "SoWi-Therapie"?

Barbara Zaruba / Sonja Wierk:
Dem Leben wiedergegeben. Erfolgreiche Selbsttherapie bei Bewegungsstörungen wie Schlaganfall, Parkinson, MS und ähnlichen Erkrankungen.
256 Seiten, Herbig Verlag, München 2002,
ISBN: 3-7766-2294-6,
19,90 Euro

Ich muss zugeben, dass ich mit sehr großer Skepsis daran ging, den Titel zu lesen, da schon im Klappentext eine "große Hoffnung" versprochen wird. An anderer Stelle (S.185 f) heißt es: "Trotzdem haben Gelähmte nun Grund zur Hoffnung, seit es Sonja gelang, die Krankheit mit den 1000 Gesichtern und vielfältigen Auswirkungen zu besiegen. Das ist ihr erst nach vielen Jahren der Krankheit gelungen - vertrauen Sie also ruhig darauf, dass auch Sie Erfolg haben können, selbst wenn Ihre Krankheit bereits seit Jahren besteht." Sonja, das ist die nunmehr 78jährige Sonja Wierk. Im Jahr 1985, sie war 60 Jahre alt, seit 25 Jahren von MS betroffen, bettlägrig und völlig gelähmt, besuchte sie einen Feldenkrais-Kurs und hatte dort ein Erfolgserlebnis, das sie nicht mehr losließ. In der Folge entwickelte sie dann eine Strategie, um ihren Körper mit Gedankenkraft zu spüren. Durch "gedankliche, liebevolle Hinwendung" nimmt sie Kontakt mit ihrer Kehle, Blase, ihren Beinen und Füßen auf und versucht, neue Nervenverbindungen zu knüpfen. Dies gelingt ihr.

Als sie im Januar 1986 in eine Klinik kommt, kann sie bereits wieder einige Schritte laufen, heutzutage macht Sonja Wierk Strandspaziergänge auf Fuerteventura, hält Vorträge und Seminare über ihre Therapie. Die SoWi-Therapie, die nicht nach den Anfangsbuchstaben ihres Namens benannt sein soll, sondern von "Sonne + Wind, Sommer + Winter, Soziales + Wissen" stamme, basiert auf zwei Säulen. Erstens: Eine veränderte Einstellung dem Körper gegenüber, die nicht mehr den Körper als Feind sieht, sondern ihn liebevoll annimmt. Zweitens: Durch Visualisierung sollen neue Neuroverknüpfungen geschaffen werden, die ausgefallene Nervenleitungen ersetzen sollen.

Soweit zum Hintergrund, und ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich nach dem Lesen Buches immer noch skeptisch bin. Fakt ist, dass viele Aussagen im vorliegenden Buch durchaus zu unterstreichen sind, etwa, dass man oder frau nur selber die Verantwortung für den eigenen Körper übernehmen kann, dass die liebevolle Annahme des Körpers, die Bewusstheit über die eigenen Gefühle, die positive Grundeinstellung (Hoffnung statt Verzweiflung) wichtige Faktoren im Umgang mit der eigenen Erkrankung sind. Das positive Beispiel von Sonja Wierk kann anderen Betroffenen also möglicherweise Hoffnung machen - und das ist das Gute an diesem Buch. Doch m.E. ist es nicht gerechtfertigt, von eine gesonderten "Therapie" zu sprechen und Sonja Wierk zu einer Quasi-Nachfolgerin von Moshe Feldenkrais zu küren. Es erfolgt m.E. auch keine geschlossene Darstellung des therapeutischen Konzeptes. Zum Schluss bleiben für mich noch weitere Fragen: Warum werden nicht die Namen von „aufgeschlossenen Schulmedizinern“ (S.96) genannt, die SoWi unterstützen? Wo sind die vielen Fallstudien von den anderen Heilungen? Warum liegt bisher keine handfeste wissenschaftliche Studie zur Untermauerung vor? Ist es zulässig, den Ansatz kurzerhand auch auf alle Schlaganfallbetroffene und Parkinsonbetroffene auszudehnen? Bei mir jedenfalls bleibt - bis zum Beweis des Gegenteils - das Gefühl eines allgemeinen und damit unseriösen „Heilsversprechens“ bei MS.
HGH

Das einzig Sichere ist die Unsicherheit

Gerd Ziegeler / Hannes Friedrich:

Multiple Sklerose - das einzig Sichere an ihr ist ihre Unzuverlässigkeit. Eine Langzeitstudie über Formen der psychosozialen Bewältigung einer chronischen Krankheit.
338 Seiten, VAS-Verlag,Frankfurt am Main 2002,
22,- Euro

Insgesamt 60 PatientInnen mit Multipler Sklerose (42 Frauen, 18 Männer) umfasste die Langzeituntersuchung, die die Autoren Gerd Ziegeler und Hannes Friedrich hier vorlegen. Sie zeigen zunächst, wie die Erkrankung nach einem Verlauf von fünf Jahren verarbeitet wird. Dabei unterscheiden sie nach fünf verschiedenen „Verarbeitungstypen“: Die Unbeeinträchtigten, die Kontrollierenden, die zweispältig Kämpfenden, die chronisch Kranken und die Überrollten. Diese Typisierung gelte aber nur für die zurückliegenden Jahre, betonen die Autoren. Da die MS eine unberechenbare Erkrankung sei, könnten nur schwer Prognosen über die Verarbeitung in der Zukunft gemacht werden.

Nach weiteren fünf Jahren konnten die Autoren noch 21 Personen der ursprünglichen Gruppe erneut befragen. Fazit der Autoren: Mittlerweile hatten alle Betroffenen ihr jeweils eigenes „sinnvolles“ Bewältigungsmuster gefunden. Je nach Fortschreiten oder Remission der Erkrankung wurden nun insgesamt vier Typen von Bewältigung klassifiziert: Die Flexiblen, die Unbeugsamen, die Legitimierten und die Ratlosen.

Leider lässt die Studie die LeserInnen zum Schluss etwas ratlos zurück, denn was nützt dies alles den Betroffenen? So bleibt als Resümee, das die Autoren auch schon ehrlicherweise in ihrer Vorbemerkung ziehen: „...dass eine unmittelbare Rückwirkung auf die Lebenssituation, geschweige denn auf die Behandlungsmöglichkeiten der befragten Kranken nicht erwartet werden kann“. Schade!
HG

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