Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/05

Auszug aus der Laudatio von Dr. Heike Sievers-Frederich

Der Körper ist das Haus
    und der Bewohner die Seele

Anfang der 90er Jahre habe ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel von Frau Dr. Arnade über die psychosomatischen Aspekte der MS gelesen. Dieser Ansatz war für mich als naturwissenschaftlich ausgebildete Internistin, die sich gerade zur Psychotherapeutin gewandelt hatte, so spannend, dass ich spontan einen Brief geschrieben habe. Aus diesem Anlass heraus ist der Kontakt zur Stiftung LEBENSNERV entstanden. Als ich dann 1994 gebeten wurde, mit zur Jury zu gehören, habe ich das gerne angenommen. Seit dieser Zeit habe ich die Freude, die Ehre und manchmal auch die Mühe, viele Arbeiten zu lesen und viele Aspekte des Umgangs mit der Erkrankung MS kennen lernen zu dürfen.

Jedes Mal, wenn die zum Forschungspreis eingereichten Arbeiten gelesen werden wollen, erstaunt mich die Vielfalt der Beiträge. Sowohl in ihrem Ansatz als auch in der Ausführung sind sie sehr unterschiedlich, gerade in der Anfangszeit war auch das eine oder andere Kuriosum darunter. Mein Eindruck ist jedoch, dass die Arbeiten in den letzten Jahren an Qualität zugenommen haben, was ein Licht auf die Bedeutung der Stiftung wirft. Und dieses Mal freut es mich besonders, dass Arbeiten aus sehr unterschiedlichen Richtungen für den Preis nominiert wurden.

Die Kombination der Arbeiten von Frau Prof. Griesehop über die biografische Aneignung und Aspekte der Krankheitsverarbeitung und die Arbeit von Herrn Dr. Heesen über die Psychoneuroimmunologie (PNI) mit den naturwissenschaftlichen Messmethoden und Messverfahren hat mich total fasziniert, und ich konnte mich zunächst nicht zwischen den Arbeiten entscheiden. Der Tipp von Frau Arnade, dass auch zwei erste Plätze vergeben werden können, hat mir dann sehr geholfen, aus dem Dilemma herauszufinden.

Die beiden Arbeiten kommen aus ganz verschiedenen Richtungen, der Psychologie und der Neurologie. Die Nominierung beider Arbeiten für den ersten Platz sind für mich ein Hinweis, dass eine zunehmende Bereitschaft besteht, den noch immer herrschenden Leib-Seele-Dualismus in der Betrachtung von Erkrankungen wie der MS etwas zu mildern.

Wenn ich mit meinen KlientInnen arbeite, fällt mir häufig ein Bild ein: von einem Haus mit einem Bewohner. Der Körper ist das "Haus" und der Bewohner die "Seele".

Ich versuche, das meinen KlientInnen immer so zu erklären, dass der Körper als Haus noch so funktionstüchtig sein kann - wenn der Bewohner darin, die Seele, unglücklich, antriebslos, desinteressiert oder nicht handlungsfähig ist, dann wird das Haus verkommen. Das Dach wird undicht werden, die Leitungen werden nicht mehr funktionieren, die Treppen werden knarzen und es ist nicht mehr gemütlich, nicht mehr harmonisch, nicht mehr schön in diesem Haus. Und umgekehrt, wenn die Leitungen im Haus nicht funktionieren und die Fenster undicht werden und es tropft, dann ist es manchmal auch für den fröhlichsten Bewohner nicht ganz einfach, in diesem Haus zu wohnen und seine gute Stimmung beizubehalten, oder aber sich soweit zu organisieren, dass er trotz dieser Einschränkungen des Hauses, wenn es eben nicht mehr zu reparieren ist, damit leben kann. Er oder sie muss sich dann vielleicht ein Zimmerchen suchen, in dem es nicht ganz so zugig ist. Beide zusammen, Haus und Bewohner jedoch können ein gutes harmonisches Ganzes ergeben.

Dieses Modell wird von meinen Klienten ganz gern angenommen. Manchmal nehmen sie es auf und sagen: O.k. was kann ich für mein Haus tun? Sie fangen an, sich zu bewegen oder Verhaltensweisen aufzugeben, die bisher schädlich für das Haus gewesen sind. Manchmal fangen sie auch an zu schauen, wo es noch einen Raum gibt, in dem sie sich gut fühlen können. Manche beginnen, zu entrümpeln und alte Verhaltensweisen, alte Verhaltensmuster rauszuschmeißen, die inzwischen nicht mehr nützlich sind.

Dieses Bild ist mir auch zu diesen beiden Arbeiten eingefallen. In diesem Sinne beschäftigt sich die Arbeit von Herrn Heesen eher mit den vielen Schaltstellen, Netzwerken und Wechselwirkungen des Hausversorgungssystems, während die Arbeit von Frau Griesehop mehr auf den Bewohner passt, und dazu führt, die Geschichte des Hauses, die Ereignisse und die ganz besondere Atmosphäre des Hauses und seiner Bewohner zu beschreiben und zu verstehen.

Die Preisverleihung an Frau Prof. Dr. Griesehop und Herrn Dr. Heesen kann symbolhaft für die erfolgreiche Koexistenz von Haus und Bewohner stehen, dafür beiden Preisträgern herzlichen Glückwunsch!





Dr. Heike Sievers-Frederich,
Internistin / Psychotherapie,
Familien- und Einzelberatung, Darmstadt

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