Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/08




Bei der Erwartung handelt es sich um die Vorwegnahme eines zukünftigen Zustandes – eine Person stellt sich vor, wie eine Intervention wirken wird. Dies kann natürlich als eine positive Erwartung wirken (etwa die Vorstellung heilender Bilder) oder es können negative Erwartungen wirken (in der Ausgabe 2/2005 von FORUM PSYCHOSOMATIK berichteten wir über sogenannte „Killersätze“, die negative Erwartungshaltungen auslösen können; vgl. dazu auch den später folgenden Abschnitt über den Nocebo-Effekt.) Bei der Bedeutung ist es so, dass Menschen Dinge, die sie wahrnehmen, auch mit einer Bedeutung ausstatten können: „Ein Medikament,“ so Schönbächler, „ist nach dieser Theorie nicht bloß eine chemische Substanz, sondern ein Bedeutungsträger, auf den wir aufgrund unserer Weltsicht, unserer vergangenen Erfahrungen und unserer Interpretation der Situation reagieren.“

Die konkreten Wirkungen von Placeboreaktionen im medizinischen Alltag, etwa in einer Neurologie- Praxis, sind jedoch noch wenig untersucht. Fakt ist nach Schönbächler jedoch, dass „eine Atmosphäre von Vertrauen und Mitgefühl ... zusätzlich das Gefühl des Aufgehobenseins verstärken und dadurch angstreduzierend wirken (kann). Natürlich sollte der Patient während des Heilungsprozesses dazu ermuntert werden, Eigeninitiative zu ergreifen, um gesundheitsorientierte Gedanken und Gefühle zu verstärken. Zeremonien und Rituale im therapeutischen Prozess können zusätzliche salutogene Ressourcen aktivieren und sollten nicht als unwissenschaftlich belächelt werden. Zu einem Pharmakon gehört immer auch ein bisschen ‚Pharmagie‘“.

In einem gerade erst veröffentlichten Aufsatz (Neuron 58, 2008) weisen Enck, Benedetti und Schedlowski aber auch noch auf einen anderen, kaum untersuchten Aspekt der Placeboreaktion hin – den Geschlechter-Aspekt: So reagierten Frauen (als PatientInnen) in unterschiedlichen Versuchsanordnungen anders auf die Placebo- Intervention als Männer. Gender- Effekte wurden auch in einer Studie mit männlichen und weiblichen Akupunkteuren (als Behandelnde) nachgewiesen: die weiblichen Akteure riefen mehr Vertrauen hervor als die männlichen Behandler.

Zwar wird in den aktuellen Studien der Placeboreaktion mehr Aufmerksamkeit gewidmet, hingewiesen wird aber auch darauf, dass das Gegenteil, also die Noceboreaktion (nocebo = ich werde schaden), immer mit zu bedenken sei, da sie in der medizinischen Literatur generell unterrepräsentiert ist. Der Begriff der Noceboreaktion umfasst diejenigen Effekte und Phänomene, die eine negative Wirkung haben, eine Verschlimmerung hervorrufen oder aber auch eine Besserung verhindern können. Das können nach Klosterhalfen und Enck diagnostische oder therapeutische Interventionen sein, „die den Patienten fehlleiten in der Annahme über die Art oder Schwere seiner Erkrankung und ihrer Behandlung“.

Leider sind in der Literatur noch keine Placebo-Nocebo-Studien vertreten, die sich mit dem Bereich der Multiplen Sklerose befassen. Angesichts der vielfach berichteten unsensiblen Diagnosemitteilungen bei MS wäre es meines Erachtens aber höchste Zeit, dies einmal unter dem Gesichtspunkt der „Nocebo- Reaktion“ zu untersuchen.

HGH

Literatur:
Paul Enck, Fabrizio Benedetti, Manfred Schedlowski:
New Insights into the Placebo and Nocebo Responses.
In: Neuron 59, July 31, 2008

Sibylle Klosterhalfen, Paul Enck:
Plazebos in Klinik und Forschung.
In: Psychother Psych Med 2005;
55: 433-441

Georg Schönbächler: Placebo.
In: Schweiz Med Forum 2007; 7:206-210




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