Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/09



Nichts über uns ohne uns!

Das Motto „Nichts über uns ohne uns!“ zog sich wie ein roter Faden durch die Verhandlungen zur Behindertenrechtskonvention in New York. Behinderte Menschen und ihre Organisationen waren mit jeweils rund 400 VertreterInnen an den Verhandlungen beteiligt. Ihre Sicht wurde von den verhandelnden Regierungsdelegationen gehört und ernst genommen.

Die Beteiligung der ExpertInnen in eigener Sache spiegelt sich auch im Konventionstext. Außerdem wird in Artikel 4 Abs. 3, Artikel 33 Abs. 3 und Artikel 35 Abs. 4 festgelegt, dass Menschen mit Behinderungen und die sie vertretenden Organisationen in allen Phasen der Umsetzung und Überwachung der Behindertenrechtskonvention eng einzubeziehen und aktiv zu beteiligen sind.

Frauen und Gesundheit

Hier sollen zwei weitere Aspekte der Behindertenrechtskonvention angesprochen werden, die für MS-betroffene Menschen bedeutsam sein können.

• Frauen mit Behinderungen: MSBetroffene sind mehrheitlich weiblich. Deshalb soll hier darauf hingewiesen werden, dass die Behindertenrechtskonvention sowohl einen speziellen Frauenartikel (Artikel 6) als auch Frauen- und Genderreferenzen in anderen Artikeln enthält. Damit verpflichten sich die Vertragsstaaten, bei allen Planungen und Maßnahmen im Sinne der Konvention die Situation von behinderten Frauen speziell zu berücksichtigen. In Artikel 6 wird das „Empowerment“* von Frauen mit Behinderungen thematisiert. Ähnlich wie die „Selbstbestimmung“ gehört „Empowerment“ zu den Schlüsselbegriffen der Konvention.

• Gesundheit: Mit Artikel 25 enthält die Behindertenrechtskonvention einen eigenen Abschnitt zum ThemaGesundheit.Darinerkennen die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbareHöchstmaß anGesundheitan. Außerdemverpflichten sich die Staaten, behindertenMenschen die Gesundheitsleistungen anzubieten, die speziellwegen der Behinderung benötigt werden, sowie solche, dieweitere Behinderungen möglichst gering halten oder vermeiden helfen.

alle inklusive! Die neue UN-Konvention

Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Karin Evers-Meyer, hat eine Kampagne mit dem Namen „alle inklusive! Die neue UNKonvention“ initiiert. Gemeinsam mit den Behindertenorganisationen im Deutschen Behindertenrat hat sie zwischen Januar und März 2009 acht Konferenzen zu acht Themenkomplexen der Behindertenrechtskonvention in acht Bundesländern durchgeführt. Auf den Konferenzen wurde erarbeitet, welcher legislative und sonstige Handlungsbedarf für die Bundesrepublik Deutschland im Licht der Behindertenrechtskonvention besteht. Die Ergebnisse werden in einer Broschüre zusammengefasst, die etwa ab Mitte Mai 2009 erhältlich ist (s.a. www.behindertenbeauftragte. de/alle-inklusive).

Ausblick

Die im Deutschen Behindertenrat zusammen arbeitenden Verbände fordern einen Aktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention. Die Ergebnisse der Kampagne „alle inklusive! Die neue UN-Konvention“ können als Grundlage für solch einen Aktionsplan dienen.

Ein zentrales Element jeden staatlichen Handelns in Bezug auf Menschen mit Behinderungen muss ab sofort der Grundsatz „Nichts über uns ohne uns!“ sein. Die Konvention verpflichtet zwar nur die Vertragsstaaten, an ihren Normen muss sich jedoch auch das Handeln aller Behörden, Institutionen und Organisationen messen lassen. Das bedeutet für die Organisationen behinderter und chronisch kranker Menschen beispielsweise, dass Positionen mit Entscheidungsbefugnis vorrangig mit Betroffenen zu besetzen sind.

Die Behindertenrechtskonvention stärkt die Position von Menschen mit Behinderungen. Sie müssen nicht länger als BittstellerInnen auftreten, die dankbar zu sein haben. Behinderte Menschen haben das Recht, gleichberechtigt mit anderen in allen Bereichen am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben. Und sie haben das Recht, die dafür notwendige Unterstützung zu erhalten.

Es ist leider nicht zu erwarten, dass das Leben von Menschen mit MS jetzt von einem Tag auf den anderen leichter wird und sich alle Behörden und Institutionen an den Vorgaben der Behindertenrechtskonvention orientieren. Dazu ist vermutlich noch ein langer Kampf notwendig. Aber je mehr Menschen mit Behinderungen oder/und chronischen Krankheiten sich stolz und im Bewusstsein der eigenen Würde an diesem Kampf beteiligen, desto eher kann er erfolgreich sein. Dabei kann es ein erster Schritt sein, das eigene Bild von Behinderung zu hinterfragen und vielleicht Behinderung neu zu denken.





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