FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 23. Jahrgang, 1. Halbjahr 2013

Nutzen oder schaden Beta-Interferone bei MS?

Über die Vancouver-Studie

Die im Titel aufgeworfene Frage stellt sich angesichts der Resultate einer kanadischen Studie, für die die Daten von 2.556 PatientInnen ausgewertet wurden. Die Ergebnisse wurden 2012 im US-amerikanischen Ärzteblatt JAMA veröffentlicht (a) und im Juli 2012 im Deutschen Ärzteblatt (b) und in der Ärzte Zeitung (c) besprochen.

In der Studie wurden Beta-Interferon-behandelte Menschen mit MS mit unbehandelten MS-Betroffenen verglichen. Untersucht wurde die Progression (das Fortschreiten, Anm. d. Red.) der Erkrankung anhand einer Skala, die den Behinderungsgrad bezüglich des Gehvermögens beurteilt. Dabei schnitten die MS-Betroffenen unter Beta-Interferon-Therapie nicht besser ab als die unbehandelten Menschen mit MS.

In den Besprechungen von Ärzteblatt und Ärzte Zeitung werden die methodischen Mängel der Studie betont. Diese Kritik fällt bei der Ärzte Zeitung besonders harsch aus: Hier wird am Ende gefragt, warum das renommierte JAMA überhaupt eine Studie veröffentiche, die letztlich nichts aussage. Moderater endet der Bericht im Deutschen Ärzteblatt: Zitiert wird Ludwig Kappos von der Universität Basel, für den feststehe, dass die langfristige Auswirkung von Beta-Interferonen auf die Krankheitsprogression letztlich unbewiesen sei.

(a)
(b)
(c)


Über die Bewertung

Da sind die geneigten Leserinnen und Leser also am Ende so klug als wie zuvor, oder? Wenn wir die Studienlage aus einer distanzierteren Warte betrachten, so ist festzustellen, dass so gut wie alle Medikamentenstudien von der Pharmaindustrie finanziert werden, ganz einfach, weil die öffentliche Hand nicht die notwendigen Mittel dafür bereitstellt. Solche pharmafinanzierten Studien sind also interessengeleitet und damit sowieso mit Skepsis zu betrachten, unabhängig von eventuellen methodischen Schwächen.

Die kanadische Studie der Gruppe um Helen Tremlett von der Universität Vancouver wurde jedenfalls nicht von der Pharmaindustrie finanziert, was ihre Glaubwürdigkeit in meinen Augen erhöht. Was die methodischen Schwächen betrifft, so fällt mir ein Zitat ein, das dem ehemaligen britischen Premierminister Winston Churchill zugeschrieben wird: „Ich traue nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.“ Will heißen: Mit viel gutem oder schlechtem Willen lassen sich immer methodische Schwächen identifizieren.

Fragt sich nur, warum die Medizinpresse mit dieser Studie bezüglich ihrer Methodik so kritisch umgeht, während die Ergebnisse der Pharmaforschung oft unreflektiert wiedergegeben werden – ein Schelm, der Böses dabei denkt!

Über ein Déjà vu

Während ich diese Zeilen schreibe, fällt mir eine ähnliche Konstellation ein, die noch gar nicht so lange zurückliegt: Im Juni 2010 hatte eine britische Medizinzeitschrift eine Studie veröffentlicht, derzufolge Medikamente mit den Wirkstoffen Glatirameracetat oder Beta-Interferon mehr schaden als nutzen (wir berichteten in FORUM PSYCHOSOMATIK 2/2010). Auch damals wurden der Studie methodische Mängel angelastet. Auch damals blieben die Leserinnen und Leser verunsichert zurück.

Über die Konsequenzen

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Medikamente nur dann nutzen können, wenn sie von den Betroffenen mit einer positiven Einstellung genommen werden.


Si



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