FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 24. Jahrgang, 2. Halbjahr 2014

Sven Böttcher - das Heft selbst in die Hand nehmen

"Er schreibt Krimis, verfasst Drehbücher und übersetzt Satireklassiker von Groucho Marx und den Monty Pythons: Sven Böttcher ist gut im Geschäft, als er 2005 wegen einer Bagatelle zum Arzt geht und mit Anfang 40 die Diagnose Multiple Sklerose erhält. Zwei Jahre später ist er blind und gelähmt, jeder Schub kann der Letzte sein. Böttcher beschließt, den Rest seines Lebens selbst in die Hand zu nehmen, sich um sich zu kümmern, bewusst und gesund zu leben. Heute ist er schubfrei, lebt und arbeitet wieder ganz normal – und genießt jede Stunde."

So beginnt der Begleittext zur einer WDR-Fernsehsendung über Sven Böttcher, der seit knapp 10 Jahren mit der Diagnose MS lebt. Nun gibt es ja im Fernsehen recht häufig Berichte mit MS-Bezug, in der Regel verbunden mit der Botschaft "Hoffnung auf ein neues Medikament, das endlich heilt!" Doch bereits die Antextung des Beitrages weckte bei mir Interesse und dann kam auch während der kompletten 60minütigen Sendung keine Langeweile auf. "Wir räumen auf mit Mythen und Vorurteilen gegenüber dieser Krankheit" sagt Moderator Jo Hiller - und Recht hat er.

Im Studiointerview berichtet Sven Böttcher zunächst über den Beginn der Erkrankung und seine Erfahrungen in der "Gesundheitsmaschinerie". Böttcher selbst hat in der Folge alle Medikamente abgesetzt. Auch seine Frau Katja kommt zu Wort und schildert etwa den Alltag oder Erfahrungen mit "falschen Freunden", die sich nach dem Bekanntwerden der Erkrankung zurückziehen. Ihr Resümee ist "Das Leben ist ein Geschenk und wir gucken, dass der Moment stimmt - so ist das bei uns."

Als hinzugeschalteter Experte spricht Prof. Dr. Christoph Heesen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf über das Projekt "Schubschulung". Er vertritt den Standpunkt, dass die PatientInnen über die Durchführung einer Schubtherapie maßgeblich selbst entscheiden müssen. Dazu hat das Team von Heesen eine "evidenzbasierte Patienteninformation" entwickelt, die in Form einer Broschüre über die wissenschaftlichen Sicherheiten, aber auch die Unsicherheiten aufklärt. Ein Ergebnis war, dass PatientInnen, die aufgeklärt waren, auch weniger Schübe hatten. In diesem Sinne unterstützt er den Ansatz von Sven Böttcher, dass es wichtig sei, das eigene "Selbstmanagement" zu stärken - also das Heft des Handelns in die eigene Hand zu nehmen und sich zu überlegen "Was ist mein Krankheitsmodell? - Was sind die Faktoren, die ich glaube, beeinflussen zu können?" Dieses Mehr an Kontrolle könne nach Heesen möglicherweise auch ein Stück Krankheitskontrolle bedeuten.

Böttcher hat mittlerweile seine Ernährung umgestellt, mit Bogenschießen begonnen, fährt Fahrrad, muss aber aufpassen, dass er es nicht übertreibt: "Ich habe einen guten Weg gefunden und merke, wenn ich zuviel mache. Mein Körper sagt mir, was ich kann und was nicht." Sven Böttcher hat außerdem beschlossen, seine Erfahrungen anderen Betroffenen zur Verfügung zu stellen. Auf www.erzähler.net bloggt er über MS und gleichzeitig baut er ein Infoportal unter lsms.info auf. Im Frühjahr 2015 soll sein Buch "Diagnose: unheilbar, Therapie: selbstbestimmt" erscheinen. Wir werden den Titel natürlich besprechen. Lesen Sie im Anschluss auch einen Auszug aus seinem Text "MS für Anfänger".

In der Mediathek des WDR ist die Mut machende Sendung vom 15. September 2014 "Leben mit Multipler Sklerose" immer noch verfügbar unter:

http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/planet_wissen/videoplanetwissenlebenmitmultiplersklerose100.html

HGH





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