Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/97

Teil 7: "Subjektive Krankheitstheorien bei multipler Sklerose" von H.-G. Heiden, S. Arnade

Frau D.

Ich habe multiple Sklerose seit etwa 1986, festgestellt wurde es Ende 1987.

Mit meinem Arzt habe ich wöchentliche Gespräche, die mir sehr gut tun. Ich verfalle sehr schnell in Depressionen, weil ich mit der MS einfach nicht fertig werde. Ich kann mich nicht damit abfinden, daß ich MS habe. Die Angst vor der Zukunft ist viel zu groß.

Seit zwei Jahren bin ich glücklich verheiratet. Mein Mann und ich kennen uns schon über zehn Jahre. Ich habe einen sehr lieben und verständnisvollen Mann. Er arbeitet in einer anderen Stadt und ist von ca. 6.00 Uhr bis ca. 19.00 Uhr aus dem Haus. Dadurch bin ich viel alleine und habe genügend Zeit zum Grübeln. Seit 1990 bin ich erwerbsunfähig und bekomme eine monatliche Rente.

Meine Familie zeigt kein Verständnis. Mein Vater zeigt überhaupt kein Interesse oder fragt mal, wie es mir geht. Am Anfang von meiner Krankheit wollte ich ihm etwas über MS zu lesen geben, damit auch er mit der Krankheit umzugehen versteht, aber er sagte nur, daß er darüber Bescheid wüßte. Das war alles, und es wurde nie wieder darüber gesprochen.

Leider ist meine Mutter vor 13 Jahren durch einen Unfall gestorben. Sie war für mich das Liebste auf der Welt. Das Verhältnis zu meinem Vater hat sich auch nach dem Tod meiner Mutter nie gebessert, obwohl ich gerade seit diesem Zeitpunkt gehofft habe, daß man sich gegenseitig doch mehr braucht. Ich hätte ihn gebraucht. Er hätte vielleicht auch jemanden gebraucht. Nur allzu oft habe ich das Gespräch mit ihm gesucht. Aber er schaut lieber in die „Glotze“, als sich mal offen mit mir oder auch jemand anderem zu unterhalten.

Mein Vater ist sehr streng gewesen. Dadurch war meine Kindheit auch nicht leicht. Mein älterer Bruder ist mit gut 30 Jahren an Krebs gestorben. Darüber bin ich immer noch sehr, sehr traurig. Mit ihm bin ich durch „dick und dünn“ gegangen. Obwohl er mich in meiner Kindheit mißbraucht hat, war er mir der Liebste von meinen Geschwistern. Ich war zehn Jahre, er war 20 Jahre, als es geschah.

Ich habe auch bis zu meinem 18. Lebensjahr ins Bett genäßt und wurde deswegen mit Strenge und Drohungen bestraft (vom Vater). Ich denke auch oft, ob dieses vielleicht alles der Auslöser für die MS gewesen sein könnte. Aber alles Grübeln ändert ja nichts an der Tatsache, daß ich MS habe.

Frau E.

Ich bin ziemlich stark von der MS betroffen und glaube, daß die Psyche bei dieser Erkrankung, neben anderen Faktoren, die größte Rolle spielt.

Erst seit etwas mehr als einem Jahr weiß ich definitiv, daß ich MS habe. Der Verdacht war allerdings schon fünf Jahre früher vorhanden, doch ich habe meine Beschwerden meistens für psychosomatisch gehalten, zumal mir ein Neurologe vor einigen Jahren nach flüchtiger Untersuchung sagte, mein Verdacht sei unbegründet. Vermutlich habe ich diese Krankheit schon seit mehr als 18 Jahren. Es deutet viel darauf hin, daß die ersten Symptome während meiner Schwangerschaft auftraten. Damals stand ich unter starker psychischer Belastung, da ich gegen den Willen meiner Mutter geheiratet hatte und sie den Kontakt zu mir gänzlich abbrach, als ich schwanger wurde. Dies ist nur ein Beispiel von vielen.

In Situationen extremer psychischer Belastungen machten sich bei mir immer Symptome bemerkbar, die ich heute eindeutig als Schübe definieren kann. Früher hatte ich in den Zeiten, in denen es mir seelisch gut ging, auch keine Beschwerden, doch damit ist es jetzt aus. Ich könnte nicht behaupten, daß jetzt, nach einer psychischen Aufarbeitung meiner Kindheit, die Symptome weniger auftreten. Psychisch geht es mir besser als je zuvor, trotz der Krankheit, doch diese verschlechtert sich.

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