Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/97

Teil 3: "Klare Grenzen für die medizinische Forschung - Nürnberger Kodex 1997"

4. Fortpflanzungsmedizin und Pränataldiagnostik

Medizinische und biotechnische Entwicklungen ermöglichen in zunehmendem Maße, Elternschaft, Schwangerschaft und Geburt technisch zu kontrollieren und zu manipulieren. Dadurch werden die Eltern einer großen Belastung ausgesetzt und schwangere Frauen mit Entscheidungszwängen konfrontiert. Die gesellschaftliche Tendenz zu einer „Eugenik von unten“ und die Aussonderung von Menschen mit zu erwartenden Behinderungen werden verstärkt.

Vorgeburtliche Untersuchungen, die gezielt nach Fehlbildungen oder genetischen Abweichungen beim Ungeborenen suchen, gehören nicht in die Routine der Schwangerenvorsorge. Vor Inanspruchnahme solcher Untersuchungen muß den Frauen eine von den Anbietern pränataler Diagnostik unabhängige Beratung zur Verfügung stehen, wobei die Konsequenzen der Untersuchung aufgedeckt werden. Werdenden Eltern muß das „Recht auf Nicht-Wissen“ erhalten bleiben, ohne daß sie soziale und finanzielle Konsequenzen befürchten müssen.

Die Methoden der künstlichen Befruchtung dürfen nur angewandt werden, um langfristige und auf andere Weise nicht zu behandelnde Unfruchtbarkeit zu beheben. Nicht zulässig ist die Präimplantationsdiagnostik zur Selektion von Embryonen mit zu erwartenden Behinderungen. Ebenso sind die kommerzielle Beschaffung und Übertragung fremder Keimzellen und Embryonen sowie die Leihmutterschaft unzulässig. Abzulehnen ist auch die mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen zur verbrauchenden Forschung, zur Klonierung, zur Chimären- und Hybridbildung.

5. Gendiagnostik

Genetische Tests können individuelle gesundheitliche Risiken aufzeigen, aber auch Merkmale identifizieren, die zwar ohne eindeutigen Krankheitswert sind, aber einen stigmatisierenden Effekt haben. Sie können das Leben der betroffenen Menschen und ihrer Familien durch Vorhersagen schwer belasten.

Genetische Tests sind psychisch invasive Eingriffe und streng an die informierte Einwilligung zu binden. Sie sollen nur dann durchgeführt werden, wenn sie ärztlich angezeigt sind und wenn die betroffenen Familienangehörigen ausführlich und sachkundig über die Konsequenzen eines belastenden Testergebnisses wie auch über Alternativen zur Testung beraten worden sind. Betroffene haben Anspruch auf soziale und psychologische Betreuung.

Gentests stellen Wissen zur Verfügung, dessen Vertraulichkeit gesichert sein muß. Ihr Gebrauch für kommerzielle oder bevölkerungspolitische Zwecke ist auszuschließen. So darf niemand genötigt werden, einen Gentest vornehmen zu lassen. Genetisches Wissen darf nicht in diskriminierender und rassistischer Absicht verwendet werden.

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