Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/98

Teil 2 : "Coping Training" von Björn Kruse, Dieter Pöhlau, Joachim Kugler

Die Lebensqualität nimmt so weiter und weiter ab – allerdings nicht als zwangsläufige Folge der Erkrankung, sondern durch psychische und soziale Fehlentwicklungen.

Bei chronischen Erkrankungen wie der MS kommt es daher entscheidend darauf an, daß der Betroffene lernt, mit seiner Krankheit zu leben, das Beste aus seinem Leben zu machen und so selbständig wie möglich zu bleiben. Den Umgang mit einer Erkrankung nennt man „Coping“.

Schon aus diesen Überlegungen heraus wird deutlich, daß eigentlich jedem Betroffenen, mindestens aber jedem, bei dem MS neu diagnostiziert wurde, die Teilnahme an einer Coping-Training- oder Psychotherapiegruppe möglich gemacht werden sollte. Dies ist keine neue Forderung, aber bisher in viel zu geringem Maße in die Tat umgesetzt. Zwar bietet die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) Seminare u.a. für Erstbetroffene an, kann damit aber leider nicht alle Betroffenen erreichen.

Einflüsse seelischer Faktoren auf die MS und auf das Immunsystem?

Es besteht kein Zweifel, daß es zwischen Funktionen des Zentralnervensystems (also auch „seelischen” Regungen) und dem Immunsystem intensive Wechselwirkungen gibt. Damit beschäftigt sich eine ganze Forschungsrichtung, die „Psychoneuroimmunologie”.

Es liegt also nahe, danach zu fragen, ob seelische Einflüsse, wie z.B. schwere oder dauerhafte Belastungen, einen Einfluß auf das Ausbrechen oder den Verlauf der MS haben. Es wurde beschrieben, daß dem ersten Auftreten der MS häufig ein belastendes Lebensereignis vorausgeht. Da derartige Untersuchungen jedoch immer rückblickend gemacht werden, ist es sehr schwierig, solche Zusammenhänge wirklich zu beweisen. Es ist denkbar, daß starke Belastungen dazu führen, daß Symptome der MS auftreten oder bemerkt werden, die sonst erst später zu Ausfällen geführt hätten. Wir wissen inzwischen, daß eine MS lange unbemerkt verlaufen kann, bis deutliche Ausfälle auftreten, die dann zum Arztbesuch und zur Diagnosestellung führen.

Von einzelnen wurde immer wieder vermutet, daß die Seele die zentrale Rolle bei der Entstehung der MS spiele, daß die MS eine „psychosomatische Erkrankung” sei. Daraus wurde abgeleitet, daß die MS rein psychotherapeutisch behandelt werden müsse. Manche Betroffene hatten dann zusätzlich zu den Symptomen der Erkrankung ein schlechtes Gewissen, weil sie sozusagen an ihrer Erkrankung „selbst schuld” seien.

Es muß jedoch ganz klar gesagt werden, daß die MS nach heutigem Wissensstand keine psychisch verursachte Erkrankung ist. Einen sehr starken Einfluß auf das Risiko, an einer MS zu erkranken, haben Erbfaktoren (Gene). Weiterhin spielen Umwelteinflüsse (z.B. virale Infekte) eine Rolle. Es gibt eine Reihe von weiteren Faktoren, die zum Teil bekannt (Ernährung), zum Teil noch unbekannt sind, die zusammentreffen müssen, damit eine MS entsteht.

Im Einzelfall kann eine psychische Belastung wahrscheinlich ein solcher „Tropfen” sein, der „das Faß zum Überlaufen“ bringt. Für die Vermutung, daß die MS durch psychische Belastungen ausgelöst wird, gibt es keinerlei Beweise. Vielmehr muß man wohl davon ausgehen, daß die Veranlagung zur MS bestand, möglicherweise ohne „schweres Lebensereignis“ nur etwas später zum Ausbruch gekommen wäre. Genauso verhält es sich mit der Auslösung von Schüben: Streß und andere psychische Faktoren können einen Schub wohl mitauslösen – allein verantwortlich sind sie aber kaum.

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