Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/99

Teil 3: "Neulich in der Wissenschaft..."

Frauen

Der zunehmenden Aufmerksamkeit für die spezifischen Gesundheitsbedürfnissen von Frauen trägt der Artikel von Stewart (1996) Rechnung. Immer mehr Menschen erkennen, daß es für viele Lebensumstände und Erkrankungen geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Erkrankungswahrscheinlichkeit, der sozialen Bedingungen, der Risikofaktoren, der Symptome, der Krankheitsverläufe, der Behandlungswege und der Folgen gibt. Einige Regierungen, Universitäten und Gesundheitsorganisationen haben deshalb in der jüngeren Vergangenheit mehrere Forschungsbüros und -programme sowie Curriculae und Lehrstühle für Frauengesundheit ins Leben gerufen. Das Konzept der Frauengesundheit hat einen großen Überschneidungsbereich mit der psychosomatischen Medizin. Diese ist um eine ganzheitliche Sicht auf die komplexen Interaktionen zwischen Körper, Seele und sozialem Kontext bei der Aufrechterhaltung von Gesundheit und bei dem Erkennen von Krankheitsursachen bemüht.

Eine Studie von Crigger (1996) sucht eine Besonderheit weiblicher MS-Betroffener in deren Unsicherheit in bezug auf die Erkrankung zu finden. Ein wesentliches Ergebnis ist auch hier, daß sozialen Beziehungen eine wesentliche Rolle beim Gelingen der Krankheitsverarbeitung zukommt. Seelisches Wohlbefinden scheint dabei den Umgang mit Unsicherheit zu beeinflussen. Das persönliche Bewußtsein, die eigene Unsicherheit kontrollieren zu können, ist wiederum signifikant vom Erlebnis verschiedener Lebensstressoren abhängig. Crigger kommt zu dem Schluß, daß es insbesondere für Frauen wichtig ist, sowohl an ihrem Selbstwertgefühl als auch an ihrem Kontrollbewußtsein zu arbeiten.

Mögliche Hintergründe

Bei der wissenschaftlichen Suche nach Hintergründen und Ursachen der MS nimmt die Beschäftigung mit genetischen Faktoren ihren Raum ein. Sommer et al. (1996) liefern mit ihrer Arbeit eine umfassende Übersicht über das Forschungsfeld und nehmen Bezug auf regionale Prävalenzen, Familienforschung und Migrationsstudien. Ein Kennzeichen zur Erfassung der Bedeutung genetischer Faktoren ist die Konkordanzrate. Sie ist ein Zusammenhangsmaß, das die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer bestimmten Erkrankung für bestimmte Bevölkerungsgruppen angibt. Im Falle der MS liegt die Konkordanzrate beispielsweise für eineiige Zwillinge bei 25%. Das heißt, daß bei drei Vierteln aller eineiigen Zwillingspaare dieser Welt, in denen ein Geschwister MS-betroffen ist, das andere Geschwister nicht betroffen ist. In einem Viertel aber, also mit einer Konkordanzrate von 25%, sind beide Geschwister betroffen. Aus Vergleichsuntersuchungen mit zweieiigen Zwillingen und "herkömmlichen" Geschwistern (Konkordanzrate ca. 3%) sind deutliche Unterschiede sowohl zwischen beiden Gruppen als auch zur "Normalbevölkerung" (Konkordanzrate ca. 0,1%) festgestellt worden. Die Autoren kommen insgesamt zu dem Ergebnis, die MS sei eine multifaktorielle Erkrankung, bei deren Entstehung wahrscheinlich mehrere Gene beteiligt sind.

Von wachsender Bedeutung auch für die Erforschung von Hintergründen bei der MS ist die Psychoneuroimmunologie (PNI). Nach Waksman (1994) berücksichtigt sie die große Komplexität der MS und bringt diese in Zusammenhang mit der Beziehung zwischen dem Nerven- und dem Immunsystem sowie einem bestimmten (Astrocyten) Zelltyp. Der Autor wirft die Frage auf, ob dauerhafter Streß einen Ausbruch der MS wahrscheinlicher werden lassen kann und ob akuter Streß eine Verschlechterung der Symptomatik begünstigt. Noch nicht abschließend setzt sich die PNI mit den Möglichkeiten auseinander, inwieweit genetische Prädispositionen und / oder Virusinfektionen während der Pubertät die MS beeinflußt.

Schubert (1998) bricht in seinem Artikel eine Lanze für eine noch intensivere Beteiligung der Psychoneuroimmunologie. Deren Vorteile liegen ihm zufolge in der Möglichkeit der ganzheitlichen Betrachtung von Zusammenhängen zwischen Nerven-, Hormon- und Immunsystem. Er fordert vor dem Hintergrund der hohen Differenziertheit und Dynamik des menschlichen Lebens, daß sich die PSNI stärker als bisher der Komplexität psychischer Prozesse und der sie umgebenden sozialen Realitäten zuwenden soll. Ziel sollte es sein, zu einer ganzheitlich-systematischen Sichtweise zu gelangen.

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