Empowerment - Versuch der Annäherung an einen vielschichtigen Begriff

Hintergrund, Inhalte und Bedeutung des Empowerment-Konzepts

Vortrag auf dem Curriculum -Workshop der Stiftung LEBENSNERV
am 9. Dezember 2005

von H.- Günter Heiden

Vorbemerkung

Die deutsche Sprache hat Begriffe hervorgebracht, die unübersetzbar in andere Sprachen sind: So gelten die Begriffe „Kindergarten“, „Sauerkraut“ oder „Autobahn“ als typisch deutsch und werden im Englischen auch so verwendet und nicht anglifiziert. Ähnliches gilt umgekehrt für den Begriff „empowerment“. Im Englisch-Wörterbuch von Langenscheidt heißt es zwar, man könne den Begriff „empower“ mit „ermächtigen“oder „bevollmächtigen“ übersetzen, doch ein Substantiv „Ermächtigung“ erinnert mich an das Ermächtigungsgesetz im sogenannten „Dritten Reich“ und eine „Bevollmächtigung“ scheint mir eher Ähnlichkeit mit dem Alltag eines Gerichtsvollziehers zu haben. Das geht nun nicht nur mir so – viele deutschsprachige AutorInnen, die sich mit dem Empowerment-Konzept beschäftigen, bleiben auch im Deutschen ganz einfach beim „empowerment“. Im Französischen wird ebenfalls von „l’empowerment“ gesprochen, eine treffende Übersetzung gibt es auch hier nicht.

Mein Aufgabe ist es, den Begriff „Empowerment“ etwas deutlicher herauszuarbeiten. Ich möchte mich in einem ganzheitlichen Sinne einmal von verschiedenen Seiten an diesen Begriff annähern, damit es uns besser gelingt zu verstehen, was damit gemeint sein könnte. Denn wenn wir als Stiftung LEBENSNERV ein „Empowerment-Training“ anstreben, sollte einigermaßen klar sein, was dabei alles mitschwingen kann. Ich möchte dabei recht langsam und ausführlich vorgehen, und möglichst viele Facetten des Begriffes und seiner heutigen Verwendung vorstellen.


1. Meine Ebenen der Annäherung an den Begriff „Empowerment“

assoziativ

Als erste Annäherung habe ich bei der Vorbereitung auf dieses Referat ein kleines privates Brainstorming gemacht. Was fällt mir an anderen Worten ein, die mit „power“ zu tun haben? Das war zuerst „black power“, die kraftvolle Geste der dunkelhäutigen USOlympiasieger 1968 in Mexiko. Das war „Powerplay“, die sportliche Überlegenheit einer Mannschaft, häufig beim Eishockey verwendet. Das war „powern“, wenn man große Leistung entfaltet oder auch „ausgepowert“, wenn man keine Kraft mehr hat. Das war der Song von John Lennon „power to the people“ oder „Flower power“, die „Blumenrevolution“ und nicht zuletzt auch die „Frauenpower“.

Danach habe ich im dtv-Lexikon nachgeschlagen: Dort las ich die Begriffe „Power-Tests“ und „Power-slide“. Erstere sind psychodiagnostische Verfahren zur Leistungsfähigkeit, zweiteres ist eine Kurventechnik beim Motorsport, bei der Wagen mit voller Kraft in die Kurve rutschen, um dann geradeaus weiter zu fahren.

Mein Fazit dieser Annäherung: Für mich ist der Begriff „empowerment“ positiv besetzt und geht mit viel Kraft einher.

Englisch-Lexika

Auf der nächsten Ebene habe ich zu einem reinen Englisch-Wörterbuch gegriffen. In einem Onlinelexikon ist die Bedeutung für „empower“ zunächst mit: „to give somebody the power or authority to do something“ gegeben (auf Deutsch: „jemandem die Kraft oder die Autorität geben, etwas zu tun“).

Es ist aber noch eine zweite Bedeutung aufgeführt, die in unserem Zusammenhang schon vielversprechender klingt: „to give somebody more control over their own life or the situation they are in“ (auf Deutsch: „jemandem mehr Kontrolle über das eigene Leben oder jeweilige Situation geben“). Als Beispielsatz für eine Verwendung wird angeführt: „The movement actively empowered women and gave them confidence in themselves“ (etwas holprig auf Deutsch: „Die Bewegung empowerte die Frauen aktiv und gab ihnen Selbstvertrauen“).

Ein englischsprachiges Herkunftswörterbuch hielt aber dann eine Überraschung für mich bereit: Bislang ging ich davon aus, dass es sich bei „empowerment“ um ein neuzeitliches Modewort handelte. Jetzt las ich, dass der Ursprung des Wortes in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu finden ist. Die Be-deutung lag damals im rechtlichen Bereich „to invest with authority, to authorize“ (auf Deutsch: „mit Autorität ausstatten, autorisieren“). Ein gewisser William Penn, so las ich, soll den Begriff 1690 in seinen Schriften benutzt haben.

An dieser Stelle nun könnte man sagen: genug in Lexika geblättert,
jetzt wird gegoogelt:

per Google

Diese Annäherung ist wahrscheinlich eine der häufigsten: Ich ging ins Netz, tippte google.de ein und dann den Begriff „Empowerment“. Die Ausbeute war gigantisch: Ich habe in der weltweiten Dokumentensuche 28.400.000 Treffer erhalten und selbst, wenn ich nur deutsche Treffer haben möchte, erhalte ich immerhin noch 412.000 Treffer. Also doch vorwiegend ein Modewort? Bei der freien Enzyklopädie Wikipedia wurde ich dann schnell fündig und habe folgende Definition erhalten:

„Mit Empowerment bezeichnet man Strategien und Maßnahmen, die geeignet sind, das Maß an Selbstbestimmung und Autonomie im Leben der Menschen zu erhöhen und sie in die Lage zu versetzen, ihre Belange (wieder) eigenmächtig, selbstverantwortet und selbstbestimmt zu vertreten und zu gestalten. Empowerment bezeichnet dabei sowohl den Prozess der Selbstbemächtigung als auch die professionelle Unterstützung der Menschen, ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen. Im Deutsche n wird Empowerment gelegentlich auch als Selbstkompetenz bezeichnet.“

An dieser Stelle könnte man den Annäherungsprozess beenden - die Richtung scheint klar, wir haben eine schöne Definition und kümmern uns nun um die darauf fußenden Konzepte. Doch es lohnt, dies noch einen Moment zurückzustellen und sich erst einmal mit dem eben erwähnten William Penn zu beschäftigen.


2. Die historischen Wurzeln des „Empowerment-Konzeptes“

Wenn wir einmal zurückblicken in die Zeit der Entstehung des Begriffs „Empowerment“, so ist dies in Deutschland das Ende des 30jährigen Krieges, in England der Beginn der bürgerlichen Revolution und global der verstärkten Ausbreitung des Kolonialismus.Kirche und Staat waren in Europa eng verschmolzen. In dieser Zeit, genau im Jahr 1644, wurde William Penn als Sohn des gleichnamigen britischen Admirals in London geboren.

Penn war sehr an religiösen Fragen interessiert und schloss sich in jungen Jahren der Religionsgemeinschaft der Quäker an. Wegen seines Glaubens wurde er mehrfach inhaftiert. 1682 segelte er nach Nordamerika, gründete dort den, nach seinem Vater benannten, Quäkerstaat Pennsylvania, der 70 Jahre lang unabhängig blieb und wurde erster Gouverneur.

Von Interesse in unserem Zusammenhang sind seine politischen Auffassungen. Er trat für die gleichen Rechte von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religionen ein, für die Gleichstellung von Männern und Frauen, er versuchte ein friedliches Auskommen mit den Ureinwohnern.

In seinen Schriften begründete er die „Theologie des individuellen Empowerment“, was nur auf dem Hintergrund der Auffassungen der Quäker zu verstehen ist: Die Quäker kennen keinen Klerus und keine besonderen Sakramente. Sie gehen davon aus, dass ein Teil von Gott in jedem Menschen lebendig ist. Dies wird mit dem Begriff „inner spirit“ (inneres Licht) bezeichnet. Hierdurch besitzt jeder Mensch eine unveräußerbare Würde, er besitzt die Freiheit des Gewissens und ist als Frau oder Mann freier Teil einer freien Gesellschaft. Dieses Verständnis der Gleichheit aller Menschen drückte sich auch in folgenden Details aus: vor der Obrigkeit wurde nicht mehr der Hut gezogen, Titel wurden nicht anerkannt und das „Du“ war gebräuchlich für alle und jeden.

Was heute eher selbstverständlich klingt, war in der damaligen Zeit aufrührerisch und revolutionär, da gegen Könige und Kaiser, gegen Bischöfe und Papst, gegen jegliche Autoritäten gerichtet. Kein Wunder also, dass viele Quäker wegen ihrer Auffassungen verfolgt und inhaftiert wurden.

Penn gab dem Staat Pennsylvania, den er auch als „holy experiment“ („heiliges Experiment“) bezeichnete, eine geschriebene Verfassung, in der die Macht der Regierung begrenzt, ein humanes Strafrecht eingeführt und viele fundamentale Freiheiten aufgeschrieben wurden. Diese Verfassung wurde das Vorbild für alle späteren freien, demokratischen Verfassungen. In Europa war Voltaire, der französische Philosoph der Aufklärung, ein großer Bewunderer von Penn.

Mein Fazit zum historischen Ursprung: Das religiös begründete Empowerment-Konzept des „inneren Lichtes“ bildet einen wichtigen Vorläufer für die Konzepte des 20. Jahrhunderts.

 

3. Das Empowerment-Konzept in der Mitte des 20. Jahrhunderts

Damit möchte ich einen großen Sprung die Mitte des 20. Jahrhunderts machen, genauer gesagt in die 50er und 60er Jahre der USA, in denen das moderne Empowerment-Konzept seine aktuellen Wurzeln hat. Diese Wurzeln sind

  • die Bürgerrechtsbewegung der African Americans
  • die zweite Welle der amerikanischen Frauenbewegung
  • die Gründung der Independent-Living-Bewegung behinderter Menschen

Die erste Wurzel führt zum 1. Dezember 1955 in die Stadt Montgomery im US-Staat Alabama: Die schwarze Näherin Rosa Parks fuhr an diesem Tag von der Arbeit nach Hause und weigerte sich, im Bus ihren Platz für einen Weißen zu räumen. Dieser Akt des zivilen Ungehorsams war der Beginn der Bürgerrechtsbewegung des „black empowerment“, deren bekanntester Vertreter Martin Luther King war. Rosa Parks gilt als die „Mutter der Bürgerrechtsbewegung“.

Die zweite Wurzel führt in das Jahr 1963: In diesem Jahr veröffentlichte Betty Friedan das Buch „The Feminine Mystique“ (Der Weiblichkeitswahn). In diesem Buch prangerte sie die emotionale und intellektuelle Unterdrückung der Frauen an. Der Titel wurde ein Bestseller und regte viele Frauen an, ihre Rolle als „Hausfrau“ in Frage zu stellen. In der Literatur werden die 60er Jahre auch als zweite Welle der amerikanischen Frauenbewegung bezeichnet – nach den Ursprüngen im davor liegenden Jahrhundert.

Die dritte Wurzel finden wir im Jahr 1962: In diesem Jahr erkämpfte sich der Amerikaner Edward Roberts den Zugang zur Universität von Berkely in Kalifornien. Roberts war an allen vier Extremitäten gelähmt und auf ein Atemgerät, eine sogenannte „eiserne Lunge“ angewiesen. So gilt dieses Jahr als Schlüsseljahr der später gegründeten „Independent Living Bewegung“ behinderter Frauen und Männer.

Die theoretische Untermauerung des Empowerment-Konzeptes und die Zusammenfassung unter einem „definitorischen Dach“ (Pankofer) erfolgte im Jahr 1976 durch das Buch der Sozialwissenschaftlerin Barbara B. Solomon: „Black Empowerment: Social Work in oppressed communities“ („Soziale Arbeit in unterdrückten Gemeinschaften“).

Unter diesem Dach wurde das Empowermentkonzept auf weitere Bereiche der Gesellschaft ausgeweitet. Es fand besonders Anwendung bei den Teilen der Gesellschaft, die bevormundet, unterdrückt und diskriminiert wurden und werden). Die Folgen dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzungen waren persönliche Emanzipationsprozesse auf der einen Seite und politische Neuerungen (oft in Form von Gesetzen oder Organisationsänderungen) auf der anderen Seite. Empowerment-Prozesse haben also stets eine persönlich-politische Doppel-Wirkung.


4. Aktuelle Anwendungsfelder des Empowerment-Konzeptes

4.1.Die Grundlegung in der Sozialen Arbeit durch Julian Rappaport und ihre Rezeption in Deutschland

Machen wir nun einen kleinen Sprung in das Jahr 1980. Wir schreiben den 3. September und befinden uns auf 88. Jahresversammlung der American Psychological Association in Montreal (Canada). Der amerikanische Psychologe Julian Rappaport hielt dort eine Rede, die – neben der Arbeit von Solomon – als Grundlegung des modernen Empowerment-Ansatzes für die Arbeit in Sozial-Zusammenhängen gilt. Sie wurde leider erst fünf Jahre später für eine deutsche Fachzeitschrift übersetzt.

Der Gemeindepsychologe Rappaport kritisierte in seiner Ansprache den „Defizit“-Ansatz der professionellen HelferInnen in der amerikanischen Public Health Arbeit, die von der „Bedürftigkeit“ der Betroffenen (behinderte Menschen, psychisch kranke Menschen, etc.) ausging und sie „fürsorglich“ in einer bevormundenden Perspektive quasi wie „Kinder“ behandelte und mehr oder weniger gut „versorgt“ hat. Er wandte sich aber gegen ein einfaches, entgegengesetztes Modell der „Anwaltschaft-Advocacy“, bei dem wiederum die professionellen HelferInnen die „ExpertInnen“ sind und zu wissen glauben, dass nur die „vollen Bürgerrechte“ das Beste für ihr Klientel seien. Die Bedürftigkeiten der Betroffenen spielten in diesem Konzept keinerlei Rolle mehr. Jedoch „Rechte ohne Ressourcen zu besitzen, ist ein grausamer Scherz“ sagt Rappaport.

Er plädiert demzufolge für ein Modell des „Empowerment“, das davon ausgeht, dass viele Fähigkeiten bei den Menschen bereits vorhanden sind und dass die angeblichen Defizite Ergebnis sozialer Strukturen und mangelnder Ressourcen sind. „Offen gesagt“, so Rappaport, „meine ich, dass es sich um ‚empowerment ‘ bei all den Programmen und politischen Maßnahmen handelt, die es den Leuten möglich machen, die Ressourcen, die ihr Leben betreffen, zu erhalten und zu kontrollieren.“

In einem späteren Buch (1984) schreibt Rappaport (Original ton): „Empowerment is viewed as a process: the mechanism by which people, organizations and communities gain mastery over their lives“. (Zu Deutsch: „Empowerment ist als ein Prozess zu verstehen: es sind die Mechanismen, durch die Menschen, Organisationen und Gemeinschaften Kontrolle über ihr eigenes Leben erhalten“).

Das ist eine sehr allgemeine Definition und es bleibt festzuhalten, dass Empowerment also nicht etwa als eine genau abgegrenzte Methode zu verstehen ist, sondern eher als eine Haltung, als eine Philosophie, als eine Strategie. In Deutschland wurde das „Empowerment-Konzept“ Anfang der 90er Jahre von Herriger und Stark aufgegriffen. Seitdem wird es im Bereich der Theorie und Praxis sozialer Arbeit verstärkt diskutiert. Je nach AutorIn werden verschiedene Empowerment-Ebenen gesehen. Norbert Herriger etwa unterscheidet vier Ebenen des „Empowerments“:

  1. die Individualebene (evtl. auch unterstützt durch Beratung)
  2. die Gruppenebene (etwa in Selbsthilfegruppen)
  3. die Organisationsebene (Beteiligung von BürgerInnen bei sozialen Dienstleistungen)
  4. die Gemeindeebene (förderliches Klima für Selbstorganisation)



Bei Wolfgang Stark werden drei Ebenen gesehen:

  1. psychologisches Empowerment auf der individuellen Ebene
  2. Empowerment auf der Ebene von Gruppen und Organisationen
  3. Empowerment auf der strukturellen Ebene

 

In den Zusammenhängen der Stiftung LEBENSNERV wird es vor allem, so denke ich, um die Ebene des „psychologischen Empowerment“ gehen. In unserer Stiftungszeitschrift FORUM PSYCHOSOMATIK haben wir diese Ebene schon einmal präzisiert und in der Ausgabe 1/2004 den Ansatz des Psychotherapeuten Edmond Richter vorgestellt. Er sieht Empowerment als Ausdruck einer neuen Lebensphilosophie, einer neuen Lebenskultur, die auf einem grundsätzlichen Perspektivenwechsel beruht.

Danach basiert Empowerment auf einer neuen Lebenshaltung, die besagt, dass wir viel stärker, größer und fähiger sind, als wir zu denken wagen. Sie besagt außerdem, dass wir die Kraft haben, uns zu ändern, um mehr Freiheit, Verantwortung und Lebensfreude zu erfahren. Richter vertritt die Auffassung, dass wir tagtäglich mehr oder weniger unbewusst Entscheidungen treffen. Nach dem Empowerment- Prinzip sollten wir diese Entscheidungen lieber bewusst und lebensbejahend treffen als unbewusst und leidend. Dabei geht es laut Richter nicht darum, Probleme zu verleugnen, sondern sie als Herausforderung zu betrachten mit dem Wissen, dass sie lösbar sind.

So gesehen ist Empowerment eine neue Haltung, eine neue Art, in der Welt zu sein. Für jeden persönlich bedeutet das nach Richters Ansicht, mehr Selbstbestimmung und Freiheit zu gewinnen, aber auch Verantwortung zu übernehmen und selbst schöpferisch zu werden, statt Opfer zu bleiben. Wem diese Haltung vermittelt werden könne, der geht, so Richter, mit neuem Mut an seine Probleme heran und meistert sein Leben mit gesundem Selbstbewusstsein.

4.2. Anwendungsfelder des „Empowerment-Konzeptes“

Das „Empowerment-Konzept“ findet aktuell seinen Niederschlag in ganz unterschiedlichen Bereichen. Ich führe hier nur einige auf:


Management / Personalführung

Dort heißt es etwa: „Empowerment bedeutet, die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter zu stärken. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn Führungskräfte in der Lage sind, Verantwortung an die Mitarbeiter abzugeben.“ Im Unternehmensbereich werden also Seminare angeboten, die die MitarbeiterInnen qualifizieren und zum Beispiel: „Selbstbewusstseinstraining und positives Selbstmarketing“ heißen. Ein „Check-up“ der eigenen Potenziale wird erarbeitet, der eigene Typ, das eigene „Markenzeichen“ soll erkannt werden.


Interkultureller Bereich / MigrantInnenarbeit

Hier gibt es etwa in einem europäischen Programm Material zu einem politischen „Empowerment- Training“ von Minderheiten. Es soll der Diskriminierung von MigrantInnen entgegengewirkt werden.


Entwicklungszusammenarbeit

In der Entwicklungszusammenarbeit versteht man unter Empowerment den Ansatz, keine kolonialistische Entwicklungsarbeit von „oben herab“ zu betreiben, sondern sich an den Interessen der benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu orientieren.


Frauenarbeit

Beispielhaft sei hier der Punkt „Empowerment gegen Männergewalt“ genannt, bei dem Bildungsund Gruppenarbeit mit Frauenhausbewohnerinnen gemacht wird.


Soziale Arbeit

Dies ist der klassische Bereich, in dem der „Empowerment-Ansatz“ Eingang gefunden hat – in der Beziehung „Profi – KlientIn“. Damit ist die Abkehr von ExpertInnen gemeint, die im Besitz der alleinigen Lösungskompetenz sind. Es geht in Richtung Kooperation, Partnerschaft und um eine „Begleitung“ zu den eigenen Lösungen der KlientInnen.


Medizin/Pflege

In der Ausgabe 2/2005 von FORUM PSYCHOSOMATIK haben wir das Thema der Kommunikation zwischen Medizin-Profis und Menschen mit MS aufgegriffen und auch das Modell des „Shared Decision Making“ benannt. In dem sehr hierarchisierten Medizinbereich kommt das Empowerment-Modell aber auch allmählich an, wie neuere Buchveröffentlichungen, etwa „Empowerment statt Krankenversorgung. Stärkung der Prävention und des Case Management“ beweisen. Das Konzept der Patientenkompetenz, das wir in dieser Ausgabe vorstellen, geht in eine ähnliche Richtung.


Behindertenarbeit

Natürlich hat das Konzept auch hier seine Spuren hinterlassen, sei es in der „Selbstbestimmt Leben Bewegung“ oder auch in der Bewegung behinderter Frauen. Außerdem wird es in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen diskutiert und – besonders heftig – im Bereich der Arbeit mit Menschen, die man häufig geistig behindert nennt. In der Arbeit mit körperbehinderten SchülerInnen beim Übergang von Schule und Beruf gibt es ein Projekt „Empowerment und selbstbestimmte Mobilität“ und nicht zuletzt im Bereich MS gibt es Bemühungen von der Stiftung LEBENSNERV.


Verwandte Begriffe und Konzepte

Nun stammt der moderne Begriff des „Empowerment“ aus dem Bereich der Psychologie und der Sozialarbeit. Es gibt aber in anderen Bereichen, etwa der Medizin, vergleichbare Begriffe und Konzepte. Nur ein Jahr vor Rappaport veröffentlichte der amerikanisch-israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky 1979 sein Konzept der „Salutogenese“ (vgl. dazu FORUM PSYCHOSOMATIK 2/2004). Er fragte sich, welche Kräfte es sind, die Menschen gesund erhalten und fand generalisierte Widerstandsressourcen. Damit sind potentielle Ressourcen gemeint, die eine Person mobilisieren kann. Zentraler Begriff ist das sogenannte „Kohärenzgefühl“, ein Gefühl der „Sinnhaftigkeit“ und „Bewältigbarkeit“ des eigenen Lebens.

Eng verbunden mit dem „Salutogenese-Konzept“ sind die gesundheitspsychologischen Forschungen zur „Resilienz“ (Widerstandsfähigkeit) etwa bei Kindern. Auch hier wird der Frage nachgegangen, wie manche Kinder im Vergleich zu anderen schwierige Lebenssituationen meistern, was Kinder oder Menschen generell „stark“ macht, über welche Ressourcen sie verfügen. Das Resilienz- Konzept beinhaltet auch wieder die Sichtweise vom Kind /vom Menschen als aktivem „Bewältiger“ und Mitgestalter seines eigenen Lebens.

In einem eher gesundheitspolitischen Bereich finden wir die verwandten Konzepte von „Selbstbestimmung“, „Selbstvertretung“, „Selbsthilfe“ oder noch allgemeiner von „Autonomie“ und „Emanzipation“. Selbst in der offiziellen deutschen Behindertenpolitik sprechen die Verantwortlichen von einem „Perspektivenwechsel vom Objekt zum Subjekt“ und erkennen die Kompetenz der „ExpertInnen in eigener Sache“ an.


5. Kann man Empowerment lernen?

Die spannenden Fragen sind nun: „Kann man Empowerment lernen?“ Und wenn ja – „Wie geht das?“ Die erste Frage wird von uns und auch in der Literatur mit einem klaren „Ja“ beantwortet – empowerment ist erlernbar. Das Wie? ist dann schon schwieriger zu beantworten. Ich habe dazu einige Anregungen gesammelt. Ganz allgemein finden sich in der Literatur folgende Prinzipien zur Erlernung von Empowerment:


Prinzipien:

  • Aus der Opferrolle herauskommen
  • Bewusstsein für die eigene unveräußerbare Würde entwickeln
  • Soziale Netzwerke bilden
  • Entwicklung von vielfältigen Kompetenzen
  • Keine Ehrfurcht vor „künstlichen“ Autoritäten haben
  • Handlungsfähigkeit gewinnen, aktiver Umgang mit Problemen
  • Probleme als Herausforderungen begreifen
  • Sich selbst treu bleiben – Selbstvertrauen entwickeln
  • Lernen, „nein“ zu sagen
  • Eigene spirituelle Kraftquellen entdecken und wiederbeleben (singen, tanzen, spielen, schreiben, Theater spielen, lachen, Kontakt haben, beten, meditieren, malen, Naturerlebnisse haben, Gedichte lesen, töpfern, etc.)

 

An dieser Stelle eine kurze Nebenbemerkung zur oft unterschätzten Ressource des „Lachens“. „Lachen, das heißt, ich habe meine Angst überwunden, ich bin frei im Denken“ (Schmidgunst). Im Buch „Der Name der Rose“ geschehen Morde in einem Kloster wegen eines Buches von Aristoteles über das Lachen, das den Mönchen von der Klosterobrigkeit verboten war. Und im „Zirkus Konzentrazani“ brachten die KZ-Häftlinge mit Galgenhumor ihre geistige Überlegenheit über ihre Peiniger zum Ausdruck. Zu Lehrmethoden habe ich auch einige Hinweise gesammelt:

Methodisches

  • Selbsterfahrung / Selbstreflexion
  • Arbeit in der Gruppe, keine Einzelarbeit, es sei denn, es handelt sich um Einzelberatung
  • Von „Ich“ sprechen und nicht von „man“ (Übung: „Ich soll...“ ersetzen durch „Ich will...“ oder „Ich will nicht...“. „Ich muss...“ ersetzen durch „Ich entscheide mich dafür/dagegen... - Richter)
  • Narrative Psychologie/erzählte Geschichte als individuelles Modell (ich erzähle meine Geschichte, um mir selbst bewusst zu werden)
  • Identitätsarbeit/Biographiearbeit
  • Selbstverteidigungsübungen
  • Rollenspiele / Theaterarbeit (Ansatz Augusto Boal: „Theater der Unterdrückten“)
  • Phantasiereisen (etwa: „Wenn ich nur noch ein Jahr zu leben hätte“ – Richter)
  • Zukunftswerkstätten (Kritik-, Utopie-. Realisierungsphase)
  • Feldenkrais-Arbeit (auch hier geht es um neue „Ressourcen“, die einer Person über die Bewegung erlebbar gemacht werden – neue Handlungsmöglichkeitensollen erschlossen werden)

 

Damit bin ich an den Schluss meiner Ausführungen gelangt und möchte mit einem Empowerment- Zitat und einem Empowerment- Liedtext enden:

Das Zitat lautet:

„Überraschen wir uns damit, was wir können!“ Dieser Satz stammt nicht aus einer esoterischen Gedichtesammlung, sondern aus der Regierungserklärung der ersten deutschen Bundeskanzlerin, Angela Merkel, vom 30. November 2005. Frau Merkel hat diesen Satz natürlich in einen anderen Zusammenhang gestellt – gemeint war Deutschland. Nimmt man den Satz für sich alleine, kann er gut über jeder Anleitung zu einem Empowerment-Training stehen.

Der Liedtext stammt aus dem wunderbaren schwedischen Film „Wie im Himmel“, der vor einiger Zeit in den deutschen Kinos gelaufen ist (auch als DVD erhältlich). Die Geschichte handelt von einem weltberühmten Dirigenten, der nach einem Herzinfarkt in sein Heimatdorf zurückkehrt und dort den örtlichen Kirchenchor aufbaut. Durch die Musik, durch den Chor finden die Mitglieder zu sich selbst, zu ihren Stärken. Mich hat am stärksten „Gabriellas Song“ berührt, das Lied einer Frau, die es schafft, sich von ihrem gewalttätigen Mann zu trennen, und ein Solo beim ersten Auftritt des Chores hat:

Gabriellas Song

Jetzt gehört mein Leben mir
Meine Zeit auf Erden ist so kurz
Meine Sehnsucht bringt mich
hierher
Was mir fehlte und was ich bekam
Es ist der Weg, den ich wählte
Mein Vertrauen liegt unter den
Worten
Es hat mir ein kleines Stück gezeigt
Vom Himmel, den ich noch nicht
fand
Ich will spüren, dass ich lebe
Jeden Tag, den ich habe
Ich will leben, wie ich es will
Ich will spüren, dass ich lebe
Wissen, ich war gut genug
Ich habe mein Selbst nie verloren
Ich habe es nur schlummern lassen
Vielleicht hatte ich nie eine Wahl
Nur den Willen, zu leben
Ich will nur glücklich sein
Dass ich bin, wie ich bin
Stark und frei sein
Sehen, wie die Nacht zum Tag
wird
Ich bin hier
Und mein Leben gehört nur mir
Und der Himmel, den ich suchte
Den finde ich irgendwo
Ich will spüren
Dass ich mein Leben gelebt habe

 

Literatur beim Verfasser erhältlich
Stiftung LEBENSNERV
H.- Günter Heiden M.A.
Krantorweg 1
13503 Berlin
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