Stiftung LEBENSNERV, FORUM PSYCHOSOMATIK 1/02 |
"Peer Counseling" ist ein Begriff, der seit Mitte der 60er Jahre in den USA mit Inhalten gefüllt wird. "Peer" bedeutet dabei in der Übersetzung "Gleiche", "Counseling" heißt "Beraten". Das heißt, Peer Counseling ist eine Beratung durch Gleiche oder durch gleich oder ähnlich Betroffene. Entsprechend lautet die deutsche Übersetzung von Peer Counseling (wie oben bereits angesprochen) "Betroffene beraten Betroffene".
Es existieren verschiedene Definitionen dieses Begriffs. Eine häufig verwendete Definition lautet: "Peer Counseling bedeutet neben aktivem Zuhören, die eigenen Fähigkeit der Problemlösung einzusetzen, um Menschen zu unterstützen, die uns ähnlich sind."1
Peer Counseling ist ein professionelles Beratungskonzept. Bei Beratung geht es nicht darum, gute Ratschläge zu geben. Vielmehr suchen die ratsuchende und die beratende Person gemeinsam nach dem besten Weg für den oder die Ratsuchende. Dieser Weg kann für jeden Menschen unterschiedlich aussehen.
Peer Counseling hat in verschiedenen europäischen Ländern und in verschiedenen konkreten Lebenszusammenhängen der Betroffenen unterschiedliche Ausprägungen erfahren. Es gibt aber Gemeinsamkeiten, die hier benannt werden sollen:
Vorbildfunktion"Das wichtigste Element beim Peer Counseling ist das Beispiel eines anderen, mit dem ich mich gleichstellen kann. Das Vorbild eines Kollegen gibt einen eindrucksvolleren und nachhaltigeren Effekt als der Einsatz der besten nichtbehinderten Experten."2 Dieses Zitat stammt von Adolf Ratzka, einem behinderten Deutschen, der in Schweden lebt und sich dort für das selbstbestimmte Leben behinderter Menschen engagiert. Der selbst betroffene Berater oder die selbst betroffene Beraterin ist quasi der lebende Beweis oder das lebende Beispiel dafür, dass ein selbstbestimmtes Leben auch mit erheblichen Beeinträchtigungen möglich ist.
Vertrauen und GlaubwürdigkeitDer oder die Ratsuchende bringt einem oder einer ebenfalls betroffenen Beratungsperson mehr Vertrauen entgegen. Gleichzeitig wirken betroffene Beraterinnen und Berater glaubwürdiger als nichtbetroffene Fachleute. Dadurch werden sie von den Ratsuchenden eher akzeptiert und ernst genommen.
Gleichberechtigter KontaktDie gemeinsame Lebenserfahrung der beiden Parteien, die am Beratungsprozess beteiligt sind, ermöglicht einen gleichberechtigten Kontakt in einer entspannten Atmosphäre und einen direkten Austausch. Die ratsuchende und die beratende Person haben im Beratungsprozess unterschiedliche Rollen; aufgrund bestimmter Lebenserfahrungen können sie aber in einer gleichberechtigten Partnerschaft zusammenarbeiten.
VerständnisBetroffene Beraterinnen und Berater können die Ratsuchenden aufgrund eigener Erfahrungen häufig leichter verstehen als Nichtbetroffene. Gleichzeitig fühlen sich die Ratsuchenden besser verstanden, wenn Ihnen beispielsweise gesagt wird: "Ja, das ist mir ähnlich ergangen..."
InformationsvorsprungBeratende, die selbst betroffen sind, verfügen bereits über verschiedene Bewältigungskonzepte und Problemlösungsstrategien und haben somit einen Informations- und Erfahrungsvorsprung gegenüber Nichtbetroffenen.
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