Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/03



Ausschreibung
zur Peer-Counseling-Weiterbildung
der Stiftung LEBENSNERV


Pilotkurs 2004/2005


Die Notwendigkeit lebensbegleitender Beratung

Die Diagnosemitteilung und der Verlauf einer multiplen Sklerose (MS) hinterlassen tiefe Spuren in der Lebensgeschichte der Betroffenen. Häufig führen die Symptome dieser bisher unheilbaren chronischen Erkrankung zum Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben, zu Selbstwertproblemen und Resignation, da die gesamte Identität der Betroffenen erschüttert wird. Obwohl niemand diese Tatsache bezweifelt, werden die Betroffenen mit ihren Angehörigen und FreundInnen doch weitgehend alleine gelassen. Ein Angebot an psychischer Unterstützung, das diesen Tendenzen erfolgreich entgegenwirken könnte, wird bisher kaum vorgehalten. Gerade bei MS-Betroffenen, die sich bei einem schubförmigen oder chronisch progredienten, niemals aber vorhersagbaren Krankheitsverlauf mit sich ständig verändernden Gegebenheiten auseinandersetzen müssen, ist eine lebensbegleitende Beratung deshalb unverzichtbar.

Der „Peer-Counseling-Ansatz“

Der klassische Beratungsansatz hat jedoch seine Grenzen, da er von vielen MS-Betroffenen als bevormundend, von oben herab oder zu medizinisch orientiert erlebt wird. Abhilfe kann in diesem Falle die ergänzende Unterstützungsform des „Peer-Counseling“ (Betroffene beraten Betroffene) bringen. Der Begriff „Peer-Counseling“ stammt aus der weltweiten „Independent Living-Bewegung“ behinderter Menschen, die für Selbstbestimmung, Selbsthilfe und Eigenverantwortung eintreten. Hier sind die BeraterInnen „peers“, „Gleiche“, also Menschen, die ähnliches erlebt haben wie ihre GesprächspartnerInnen.

Bei der gemeinsamen Suche nach einem besseren Weg mit der Krankheit bringen die betroffenen BeraterInnen ihre eigenen Erfahrungen mit ein: ihre Mühen und Ängste, aber auch ihr Selbstvertrauen und ihren Mut. Das Ziel des „Peer-Counseling“ ist, behinderte Ratsuchende in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken und sie in ihrem Selbsthilfepotenzial zu unterstützen, eigene Problemlösungen zu entwickeln. Dadurch, dass der Berater oder die Beraterin zum einen selber behindert oder chronisch krank ist, zum anderen zusätzlich die fachliche Qualifikation als BeraterIn mitbringt, kann sich eine größere Vertrauensbasis entwickeln. Im Beispiel des selbstbestimmten Lebens mit Behinderung oder chronischer Krankheit eines/r selbst betroffenen BeraterIn können Ratsuchende eine Vorbildrolle für sich selbst entdecken.

Die Peer-Counseling-Weiterbildung bei LEBENSNERV

Da es für die „Lebensbegleitende Beratung“ MS-betroffener Menschen noch kaum Peer-BeraterInnen in Deutschland gibt, beginnt die Stiftung LEBENSNERV im Jahr 2004 mit einer Pilot-Weiterbildung, die finanziell vom Förderpool der Krankenkassen „Partner der Selbsthilfe“ unterstützt wird. Die Weiterbildung zum/zur „Peer-CounselorIn erfolgt nach einem Curriculum der Stiftung LEBENSNERV und befähigt zur lebensbegleitenden Beratung MS-betroffener Menschen im Sinne des Peer-Counseling-rinzipes. Dies bedeutet vor allem, eine parteiliche Beratung durchzuführen, das heißt „parteilich“ im Sinne des/der Ratsuchenden vorzugehen und sich bei der Beratung nicht an eigenen Vorstellungen und/oder unerfüllt gebliebenen Zielen zu orientieren. Das Beratungsangebot nach dem „Peer-Prinzip“ versteht sich nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu den bislang bestehenden Beratungsangeboten von Einrichtungen und Organisationen. Langfristig wird die Schaffung eines bundesweiten Beratungsnetzes für MS-Betroffene auf Basis des Peer-Counseling-Prinzipes angestrebt.




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