Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/08

Wo Ärzte wieder zurück zur Sprache finden


Prof. Hartmut Schröder über einen neuen Studiengang an der Viadrina


Herr Professor Schröder, warum ist denn die Kommunikation zwischen Arzt und Patient oftmals so schwierig?

Medizin ohne Kommunikation ist völlig undenkbar, wenn man davon ausgeht, dass sich Kommunikation nicht auf Sprache beschränken lässt, sondern gerade auch den gesamten Bereich des Nonverbalen, die sogenannte Körpersprache, sowie das Paraverbale – Tonhöhe, Tonfall, Klangfarbe et cetera – und nicht zu vergessen auch das Schweigen umfasst. Kommunikation ist ja nicht nur das, was wir ausdrücken wollen. Unter dem Strich ist entscheidend, was ankommt, was verstanden wird, was wie interpretiert wird – selbst wenn es nicht explizit so gesagt wurde. Das macht Kommunikation schwierig und erfordert eine besondere Sensibilität für die vielfältigen Störfaktoren.


Wie wichtig ist eine gute Kommunikation für den Behandlungserfolg?

Kommunikation spielt nicht nur in der Anamnese und für die Diagnose eine wichtige Rolle. Schon in der Antike wird Sokrates die Äußerung zugeschrieben, dass Worte heilen können. Bei Hippokrates wird das „gute Einvernehmen“ und die „Zufriedenheit mit dem Arzt“ als wichtiger Faktor im Prozess der Heilung gesehen. Heute ist – nicht zuletzt durch die neuere Placeboforschung und die Entwicklung der Psychoimmunologie – hinreichend belegt, dass die Beziehung zwischen Arzt und Patient, die „Ansprache“ des Patienten durch den Arzt ganz wesentlich für den Behandlungserfolg sein können. Die Compliance des Patienten ist schließlich ganz entscheidend von einer gelungenen Kommunikation abhängig.

Warum wurde derWert der „sprechenden Medizin“ lange Zeit nicht erkannt?

Viktor von Weizsäcker hat mit seinen Vorarbeiten zu einer psychosomatischen Medizin bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts eine „sprechende Medizin“ begründet, die nun langsam auf dem Umweg über die USA als „narrative-based medicine“ den Weg zurück in ihr Ursprungsland findet. In der ärztlichen Praxis gab es diese „sprechende Medizin“ aber schon immer. Die Entwicklung des Gesundheitssystems und die Entwicklung der modernen Medizin haben diese aber nicht hinreichend gefördert, sondern über einen längeren Zeitraum geradezu behindert. Dabei spielen nicht nur, eigentlich falsche, Kostenüberlegungen eine Rolle. Vielmehr ist es der Versuch der Objektivierung, die Ausklammerung des Verhältnisses von Körper und Geist, der Sprache und Kommunikation eigentlich keinen Raum lässt. Glücklicherweise geben die moderne Gehirnforschung und die Quantenphysik heute aber denen recht, die eine „sprechende Medizin“ praktizieren.

Wie lange muss ein gutes Arzt-Patienten-Gespräch dauern?

Die Qualität eines Gespräches muss nicht unbedingt mit der Dauer korrelieren. Wichtiger scheint mir zu sein, dass die Ansprache des Patienten gelingt, dass der Patient sich angenommen fühlt und das rüberbringen kann, was ihm subjektiv wichtig ist. Dabei sind Sprache und Perspektive von Patient und Arzt ganz häufig sehr verschieden. Untersuchungen zeigen, dass es auf jeden Fall sinnvoll ist, den Patienten rund anderthalb Minuten ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Gespräche unter großem Zeitdruck und mit ständigen Unterbrechungen sind meistens zum Scheitern verurteilt.


Können sich Ärzte dies angesichts der Honorarsituation überhaupt leisten?

Ich würde diese Frage anders stellen. Kann es sich eine Gesellschaft leisten, Sprache und Kommunikation aus der Gesundheitsversorgung zu verbannen und Heilung auf vermeintlich objektiveWirkfaktoren zu reduzieren? Angesichts der zunehmenden Bedeutung von psychosomatischen Erkrankungen brauchen wir heute dringend eine „sprechende Medizin“ und solche Reformen im Gesundheitswesen, die es den Ärzten ermöglichen, ihre Sprache wieder zu finden und auch mit Worten zu heilen.

In Frankfurt gibt es nun den berufsbegleitenden Studiengang „Komplementärmedizin“.
Dort geht es auch um Kommunikation?

Wir haben in diesem Studiengang unter anderem ein eigenes umfangreiches Modul für die „sprechende Medizin“ vorgesehen, in dem es nicht nur um Anamnesetechniken geht. Vielmehr steht im Mittelpunkt eine wirklich therapeutische Gesprächsführung, die Elemente etwa des Coaching, der Hypnotherapie und so weiter aufnimmt. Im Mittelpunkt stehen dabei der Patient als Partner und interkulturelle Aspekte, die zunehmend in der Praxis eine Rolle spielen. Ansatzpunkte gibt es hier zahlreiche, und die Literatur- und Studienlage kann als fast ausgezeichnet angesehen werden. Es kommt aber darauf an, diese für die Praxis besser zu nutzen und umzusetzen.




Nachdruck aus ÄRZTLICHE PRAXIS 2007 / Ausgabe: 48, Seite 4
mit freundlicher Genehmigung des Verlages
und von Prof. Dr. Hartmut Schröder

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