Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/08



Um was geht es im Patienten-Arzt-Kontakt überhaupt,
zumal in der hausärztlichen Medizin?

1. Patientenbeispiel

Eine junge Frau von 23 Jahren erscheint erstmalig in der Praxis und wirkt schon im ersten Eindruck sehr „mitgenommen“. Sie sagt, dass sie im Augenblick nicht arbeiten könne, und nach einer Pause, sie habe seit ein paar Tagen starke Halsschmerzen.

Weil ich sie einen Moment fragend anschaue, fährt sie fort: „Irgendwo muss es ja auch rauskommen.“ Und weil ich immer noch nicht eingreife.„Die Belastungen der letzten Zeit waren einfach zu viel für mich.“ Da ich hierin auch noch keine Aufforderung sehe, meinerseits das Wort zu ergreifen, entsteht eine kurze Pause. Diese endet mit einem Aufschluchzen und dem Satz: „Ich habe gerade die Liebe meines Lebens verloren.“

Ich erfahre noch, dass sie vor einem Jahr mit einem verheirateten Arbeitskollegen eine Beziehung eingegangen ist, gegen die beide sich anfänglich sträubten. Nun habe sich der Mann (nach einigen glücklichen Monaten) entschieden, bei seiner Erstfamilie zu bleiben. Mein Kommentar zu diesem Zeitpunkt ist lediglich, dass die Ereignisse wirklich schlimm für die Patientin sein müssten. Ich schreibe sie arbeitsunfähig wegen dieser Belastungssituation. Eine Pharyngitis liegt bei der Patientin allerdings auch vor.

In weiteren Gesprächen bei Folgeterminen erfahre ich mehr über die Liebe der beiden, über die Kraftanstrengungen, vernünftig sein zu wollen, über das erlebte Glück und jetzt das Ende, das verbunden ist mit einer Schwangerschaftsunterbrechung bei der jungen Frau.


2. Patientenbeispiel

Ein Patient Mitte 40 erscheint mit einer Fülle von Befunden und einem ausführlichen Krankenhausentlassungsbericht. Er ist ratlos, weil seine ihn sehr belastenden Symptome keine Erklärung liefern. Sie treten unverändert immer wieder auf. Er berichtet von Übelkeit gefolgt von „Rumoren im Leib“, dem Gefühl ohnmächtig zu werden, Herzklopfen und –rasen, Kribbeln in den Extremitäten und Luftnot. Einige Male sei er tatsächlich ohnmächtig geworden, andere Male hätten ihn beunruhigende Erscheinungen geplagt. Er habe zum Beispiel gesehen, wie seine Frau plötzlich anfing zu schweben. Dann seien ihm die Sinne geschwunden. In den folgendenWochen wurden eine Fülle von cardiovaskulären Untersuchungen durchgeführt – alle ohne pathologischen Befund. In einem vierwöchigen Klinikaufenthalt seien MRT, EEG, Dopplersonografie, Polysomnografie, Liquorpunktion durchgeführt worden. Einziges Ergebnis: angeborene Aplasie der linken A. carotis interna. Dies alles wird gehetzt und sprunghaft vorgetragen. Die Unruhe überträgt sich auf mich und in mir steigt Angst auf. Als ich das dem Patienten sage:„Ich spüre förmlich Ihre Angst“, stimmt er mir sofort heftig zu. Und mir fällt auf, dass alle von ihm beschriebenen Symptome zu einer Angsterkrankung passen. Ich vergewissere mich durch einige gezielte Fragen und teile dem Patienten meine Vermutung mit. Emphatisch greift er dieses auf und fühlt sich bestätigt. Damit er einen Anfall schon bei den ersten Symptomen coupieren kann, erkläre ich ihm noch eine autosuggestive Übung. Ungewöhnlich an diesem Fall ist, dass der Patient die Übungen einige Male einsetzte und fortan keinen Anfall mehr erlebte.





Nachdruck aus BERLINER ÄRZTE 02/2006 S. 19 ff
mit freundlicher Genehmigung der Ärztekammer Berlin
und von Prof. Dr. med. Ulrich Schwantes




Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med. Ulrich Schwantes
Facharzt für Allgemeinmedizin
Institut für Allgemeinmedizin
Universitätsklinikum Charité
Campus Charité Mitte
Schumannstr. 20/21
10117 Berlin
ulrich.schwantes@charite.de




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