Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/08



Eingeschränkter Ausschnitt

In der fachärztlichen Betreuung steht häufiger ein definiertes Krankheitsbild, zu dem eine bestimmte Frage beantwortet werden soll, bereits beim ersten Kontakt im Vordergrund. Die gewählte Fachrichtung selbst schränkt schon den betrachteten Ausschnitt ein. Aber auch hier gilt gleichermaßen, dass sich die Diagnose aus den Erzählungen des Patienten ergibt. Ärztliches Handeln ergibt sich aus der verstehenden Beziehung. Ärztliche Zufriedenheit ergibt sich aus einem auf diese Weise sinnhaften Handeln (s. Patientenbeispiel 2. auf Seite 14).

Aaron Antonovsky (1923-1994), ein amerikanisch- israelischer Soziologe, hat seine Gedanken zum Zustandekommen von Gesundheit in seinem Modell der Salutogenese zusammengefasst. Er beschreibt in dem Buch „Unravelling the Mystery of Health“ das Kohärenzgefühl (sense of coherence) als wesentliches Element. Er unterteilt dieses in drei Komponenten. Die Verstehbarkeit (sense of comprehensibility): wechselseitig sich verständig machen und zu verstehen, was geschieht und was gesagt wird. Das wird im Zuhören der Erzählung des Patienten in dieser Weise gefördert. Darauf baut sich die Machbarkeit (sense of manageability) auf: ich kann mir helfen. Das was gemacht werden soll oder kann, muss wiederum eingepasst werden in das jeweilige subjektive Leben. Beides wird unterlegt von der Bedeutsamkeit (sense of meaningfulness). Diese ist einerseits die wesentliche Grundlage für das momentane Verstehen und Machen. Andererseits modifizieren Machen und Verstehen aber auch und bewirken Neubewertungen und Umdeutungen, die das Leben bestenfalls wieder in selbstvergessenes gesundes Weggegebensein ermöglichen. So lautet eine Definition der Gesundheit von Hans-Georg Gadamer.


Zwischengeschalteter Filter

Ein auf Krankheit ausgerichteter Arzt wird an den Bericht des Patienten vorab einen Filter anlegen, der ihm ermöglichen soll, Störungen rasch zu erkennen, die danach mit angemessenen Methoden nachgewiesen werden sollen. Ein Arzt, der sich darüber hinaus an der Gesundheit seines Patienten orientiert, wird nicht umhin können als sich dessen Erzählungen zu öffnen. Die situationsbedingt sich wandelnden Bedeutungen werden aufgenommen, die Fähigkeiten erfasst, die subjektiven Interpretationen, Erwartungen, Unsicherheiten verstanden. Dazu gehört die Akzeptanz des anderen, die frei von jeglichen Bedingungen ist. Der andere, der Patient und seine Geschichte sind so, wie sie sind. Das was erzählt wird, beinhaltet Fragen und ihre Antworten, Probleme und ihre Lösungen, Feststellungen und die ihnen anhaftenden Zweifel. Darin liegt der Wert der Geschichte, der unschätzbar ist für ihren Fortgang. Im Dialog lassen sich zumal in einer gesundheitsorientierten Gesprächsführung (nach Isebaert, Schimansky, Schwantes) durch den Patienten und mit ihm seine Ressourcen erarbeiten und vor allem die Ziele, die er erreichen will und kann. Durch das durch den Patienten gesteuerte Gespräch werden die Ziele genau seinen Möglichkeiten entsprechen. Ein Arzt, der sich in die Geschichte seines Patienten hinein begibt, wird seine Vorschläge in einer für den Patienten annehmbaren Weise unterbreiten und ihm dadurch Wahlmöglichkeiten eröffnen. Verordnungen schränken hingegen den Patienten auf ein von außen kommendes – medizinisches – Konzept ein.


Besinnung auf eigene Stärken

Jeder bewusste Patient ist bestrebt, seine Möglichkeiten zu erweitern, aus der durch eine Krankheit, durch ein Problem bedingte Einengung hinaus zu finden. Im Fall einer krankheitsbedingten Einschränkung geht es um das Erlernen, wie damit umgegangen werden kann, wie diese in das weitere Leben eingebettet wird. Bei Problemen geht es mehr um die Besinnung auf eigene Stärken, die zu einer Lösung führen. In beiden Fällen ist es der Patient, der seine Ressourcen einsetzen muss, um zu einem ihm adäquaten Ergebnis zu kommen.Was muss bei gemeinsamer Entscheidungsfindung bedacht werden? Kurzsichtig soll oft der Patient auf medizinische Konzepte eingestellt werden. Dabei werden Entscheidungen, die der Patient nicht in seinem Leben verankert hat, nicht lange halten. Gemeinsame Entscheidungsfindung bedeutet also für den Arzt vor allem, die Patientengeschichte anzunehmen, sie in ihrem Wert zu schätzen und medizinische Konzepte behutsam anzubieten. Manchmal erfordert es geduldiges Einlas sen auf die Erzählung, damit eine Geschichte eine gute Wendung nehmen kann.






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