Stiftung LEBENSNERV, FORUM PSYCHOSOMATIK 1/09 |
Im Rahmen der 88. Jahresversammlung der American Psychological Association in Montreal am 3. September 1980 hielt der amerikanische Psychologe Julian Rappaport eine Rede, die als Grundlegung des modernen Empowerment- Ansatzes für die Arbeit in Sozial- Zusammenhängen gilt. Rappaport plädierte für ein Modell des „Empowerment“, das vom Vorhandensein vieler Fähigkeiten bei den Menschen ausgeht und angebliche Defizite als Ergebnis defizitärer sozialer Strukturen und mangelnder Ressourcen sieht. „Offen gesagt“, so Rappaport, „meine ich, dass es sich um ‚empowerment’ bei all den Programmen und politischen Maßnahmen handelt, die es den Leuten möglich machen, die Ressourcen, die ihr Leben betreffen, zu erhalten und zu kontrollieren.“ (Rappaport 1985)
In Deutschland wurde das „Empowerment-
Konzept“ Anfang der
90er Jahre unter anderem von
Stark, Keupp (2002) und Herriger Hermes
(2002) aufgegriffen. Seitdem wird
es im Bereich der Theorie und
Praxis Sozialer Arbeit verstärkt
diskutiert. Je nach AutorIn werden
die Empowerment-Ebenen leicht
unterschiedlich benannt. Norbert
Herriger etwa unterscheidet folgende
drei Ebenen des „Empowerments“:
1) die individuelle Ebene
(evtl. auch unterstützt durch
Beratung)
2) die Gruppenebene (etwa in
Selbsthilfegruppen)
3) die institutionelle Ebene
(Beteiligung von BürgerInnen
bei Dienstleistungen)
(vgl. Herriger 2002)
Beim Empowerment-Training der Stiftung LEBENSNERV geht es vor allem um die erste Ebene, das „psychologische Empowerment.“ Der Psychotherapeut Edmond Richter sieht ein psychologisches Empowerment als Ausdruck einer neuen Lebensphilosophie, einer neuen Lebenskultur, die auf einem grundsätzlichen Perspektivenwechsel beruht. Er versteht Empowerment als eine neue Lebenshaltung, die besagt, dass der Mensch wesentlich stärker, größer und fähiger ist als er zu denken wagt (vgl. Richter 2000).
„Grundlegende Ähnlichkeiten“ mit dem Empowerment-Konzept wird in der Literatur dem Konzept der Salutogenese bescheinigt. Nur ein Jahr vor Rappaport veröffentlichte der amerikanisch-israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky im Jahr 1979 seine Vorstellungen zur „Salutogenese“. Er fragte sich, welche Kräfte es sind, die Menschen gesund erhalten. Zentraler Begriff in seinem Konzept ist das sogenannte „Kohärenzgefühl“, eine allgemeine Grundhaltung der Welt und dem Leben gegenüber (vgl. Antonovsky 1979). Auch Herriger verbindet das Empowerment- Konzept mit dem Konzept der Salutogenese, wenn er die Entwicklung von psychosozialen Schutzfaktoren diskutiert (vgl. Herriger 2008).
Zur Messung und empirischen Überprüfung des Kohärenzgefühls hat Antonovsky einen Fragebogen mit 29 Fragen („Fragebogen zur Lebensorientierung“) entwickelt. Nach Antonovsky spricht ein hohes Kohärenzgefühl, also ein hoher SOC, für gute Gesundheit und die Aussicht, gesund zu bleiben (vgl. Antonovsky 1997).
Ganz allgemein kann man deshalb sagen, dass Menschen mit einem hohen Kohärenzgefühl, also mit einem hohen SOC, in etwa von den Lebenseinstellungen „Das Leben ist lebenswert“ und „Ich schaffe das schon“ geprägt sind. Die in jedem Leben unvermeidlich auftretenden Probleme werden nicht als tragische Schicksalsschläge erlebt, sondern als Herausforderungen angenommen mit der Gewissheit, dass sie zu bewältigen sind (vgl. Bengel u.a. 2001).
Ein extrem hoher SOC ist nach Antonovsky allerdings ein Anzeichen für einen Realitätsverlust oder als „pathologisch“(e) Verhaltensweise der jeweiligen Person einzustufen, weil er die (unrealistische) Lebenseinstellung „Ich habe alles im Griff“ spiegelt (vgl. Antonovsky 1997).