FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 20. Jahrgang, 1. Halbjahr 2010

Tamara Skowronek und ihre Cartoons

von Brigitte Zellmer

Treffpunkt ist das FORUM in Duisburg, ein hypermodernes Einkaufszentrum aus Stahl und Glas mit all den Läden und der Gastronomie, die diese Konsumtempel so austauschbar machen. Und mittendrin ein Paradiesvogel – flammrote Haare, stahlende grüne Augen und auf den Rädern ringelt sich die Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch in den Farben des Regenbogens.

Schon mit 14 wusste Tamara Skowronek, dass Zeichnen ihr Leben wird, und machte eine Ausbildung zur Graphik Designerin. In einer kleinen Düsseldorfer Werbeagentur arbeitete sie als Illustratorin für Inserate und Broschüren. 1994, im Alter von 24 Jahren, traten die ersten Symptome der Multiplen Sklerose auf – Sehstörungen, Kribbeln in den Beinen, aber auch längere Zeit ohne Beschwerden. In dieser Zeit wurde Tochter Kim geboren. Medikamente, auch Cortison, hat sie nie genommen, denn sie fürchtete, dass die Nebenwirkungen den eigentlichen Nutzen überdecken würden.

Lediglich die Ernährung wurde komplett umgestellt. Im Anfang lebte sie wie die Sammlerinnen vor 30.000 Jahren von Beeren und Wildkräutern aus dem Wald und rohem Wurzelgemüse. Schon nach kurzer Zeit fühlte sie sich in körperlicher Bestform, jedoch erschien diese Art der Nahrungsbeschaffung etwas mühsam. Noch heute allerdings lebt sie vegetarisch. Inzwischen haben auch gekochtes Gemüse und Milchprodukte einen festen Platz auf dem Speisezettel.

Seit zwei Jahren benutzt sie nun einen Rollstuhl – eigentlich zwei Jahre zu spät, wie sie heute weiß. Lange hat sie sich dagegen gewehrt und stattdessen so manche skurrile Situation herauf beschworen. Einmal z. B. wollten die Beine partout nicht mehr weiter und so setzte sich Tamara Skowronek auf ihren Rollator und ließ sich von ihrer Mutter durch die Stadt schieben. Das war nicht nur höllisch unbequem, sondern sah auch noch ausgesprochen albern aus.

Schuld an der Aversion, einen Rolli anzuschaffen, war einerseits der Vater, für den Krankheit und Schwäche völlig indiskutabel waren und der bis zu seinem Tod vor einigen Monaten immer von ihr erwartet hat, dass sie den Rollstuhl endlich in die Ecke stellt. Ausgesprochen unangenehm war der Rollstuhl für die Tochter. Mit Beginn der Pubertät finden Töchter ihre Mütter generell meist ziemlich „peinlich“. Wenn Mutter sich dann auch noch flippig zurechtmacht, nicht laufen kann und einen schrillen Rolli fährt, ist das der Gipfel der Peinlichkeit überhaupt. Lange hat sie interveniert, um zu erreichen, dass die Mutter weder zu den Elternsprechtagen noch zu anderen Schulveranstaltungen erschien. Jetzt mit 14 ändert sich die Einstellung – inzwischen zeigen sich Mutter und Tochter sogar beim gemeinsamen Einkauf in der Stadt. Seit mehr als 20 Jahren lebt Tamara Skowronek nun schon in Duisburg und fühlt sich hier ausgesprochen wohl. Der Wandel von der Arbeiter- zur Kulturstadt drückt der Stadt einen neuen Stempel auf, der das Leben hier ausgesprochen spannend macht. Die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit der Menschen weiß sie erst recht zu schätzen, seit sie mit dem Rollstuhl unterwegs ist. Sie sagt: „Nie muss ich jemanden um Hilfe bitten – sie wird angeboten, bevor ich überhaupt fragen kann.“

Sehr gern reist sie nach Polen, dem Land, aus dem ihre Großmutter stammt. Dort an derOstseeküste leben noch einige Verwandte, bei denen sie stets herzlich aufgenommen wird. Die große Wärme, die sie dort erfährt, beeindruckt besonders, weil hier die Wirtschaftskrise die Menschen ganz stark in ihrer Existenz bedroht. Wenn Tamara Skowronek von der herrlichen Landschaft und der weitestgehend unberührten Küstenregion spricht, strahlen ihre Augen. Unbedingt möchte sie in nächster Zeit einmal das Kurische Haff in Litauen besuchen, von dessen überirdischer Schönheit sie schon oft gehört hat.

Sie ist außerdem ein Fan von Andreas Pröve, den sie im vergangenen August endlich persönlich kennen gelernt hat. Sie bewundert dessen Mut, allein im Rollstuhl mit kleinem Gepäck die exotischsten Länder auf eigene Faust zu bereisen. Beeindruckt ist sie aber auch von der lebhaften und anschaulichen Art, wie Pröve in Vorträgen über seine Touren durch Indien, Tibet oder China berichtet und das Publikum in seinen Bann zieht.

Als großes Glück empfindet Tamara Skowronek, dass die Krankheit die Feinmotorik ihrer Hände nicht eingeschränkt hat. Ihre Cartoons, auf die sie sich mehr und mehr konzentriert hat, bringt sie flüssig zu Papier. Die Ideen zu den Bildern kommen meistens, wenn sie total entspannt in der Badewanne liegt. Sofort werden Stichworte auf einem bereitliegenden Block notiert und später umgesetzt. Themen sind häufig Situationen mit behinderten Menschen, aber auch die politische Karikatur liegt ihr, wie sie erst neulich bei einemWettbewerb des STERN mit Bildern von Merkel und Steinmeier im Wahlkampf 2009 beweisen konnte. Seit einigen Jahren arbeitet sie freiberuflich für verschiedene Werbeagenturen. In erster Linie entwickelt sie Storyboards für Werbefilme. Das sind gezeichnete Entwürfe für die Geschichte eines solchen Films, also so etwas wie bildhafte Regieanweisungen. … und weil Power-Frauen immer wieder neue Projekte in Angriff nehmen, studiert Tamara Skowronek nebenbei im 5. Semester Philosophie an der Fernuniversität Hagen.
(Aus RehaTreff 4/2009)




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