FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 20. Jahrgang, 2. Halbjahr 2010




Was Patientenschulungen betrifft, sind Diabetesschulungen das älteste, das beste Beispiel für Selbstbemächtigung durch Patientenschulungen. Das ist auch heute noch am fortgeschrittensten in Deutschland. Dabei ging es eben nicht darum zu sagen: die Diabetiker dürfen keinen Zucker essen. Die modernen Programme sagen nicht, du darfst das und das nicht, sondern geben den Patienten die Möglichkeit, ihr Leben zu gestalten und dazu gehört bei Diabetes, dass die Insulindosis selber angepasst wird und man nicht das machen muss, was der Arzt sagt. Ein wichtiges Ziel dieser Schulung ist also die Kompetenz, informierte Entscheidungen zu treffen. Und das ist ein Ziel, das auch wir immer weiter verfolgen.

Ich möchte auf einen weiteren Begriff, das „shared decision making“ eingehen. Ich habe Ihnen dazu einmal ein Bild mitgebracht, (Abb. 1) das ist das klassische Ideal: die schöne junge Frau, die Patientin, aufrecht sitzend, dem Arzt ins Auge schauend, so werden gemeinsame Entscheidungen getroffen. Das ist ein Bild aus dem Chartbook „Shared decision making“. So soll es aussehen, der Arzt ist auch jung und schön, davon gehe ich sowieso aus. Es gibt noch eine andere Broschüre, den Leitfaden „Patientenrechte in Deutschland“ von der Bundesregierung. Auch darin geht es darum: Was kann man tun, um gemeinsame Entscheidungen zu treffen? Das Ideal, das vorgegeben wird, ist in der Wirklichkeit nicht immer so positiv, es gibt in der Realität unterschiedliche Ausprägungen. Diese beiden Cartoons verdeutlichen dies. Erstes Bild: Die Visite kommt zum Patienten und darunter steht: „when we want your opinion, we’ll give it to you“ – „wenn wir Ihre Meinung wissen wollen, dann werden wir sie Ihnen schon sagen“. Das ist der klassische Chefarztvisitenanspruch. Andererseits beklagen Ärzte häufiger, dass es auch in die andere Richtung geht. Auf dem zweiten Bild ist deshalb die Patientin mit ihren Internetdownloads zu sehen, die dem Arzt sagt: „I’m sorry Doctor, again I have to disagree“ also „Entschuldigung, Herr Doktor, aber ich muss Ihnen leider schon wieder widersprechen“. Und der Arzt ist völlig fertig und kommt gar nicht mehr dagegen an. Das sind die drei Extreme, denen wir uns gegenüber sehen.

Was wissen wir eigentlich bei MS zum Verhältnis zwischen Ärzten und Betroffenen? Dazu einige Daten, die unter anderem von uns kommen. Wir wissen ziemlich gut, dass es keine Übereinstimmung gibt, wenn man Ärzte und Betroffene dazu befragt, was sie als die Hauptprobleme ansehen. Ärzte sehen vor allen Dingen die körperliche Gesundheit, die Mobilität. Dass dies ein ganz wichtiger Punkt für sie ist, sieht man auch darin, dass der EDSS-Score ein Beeinträchtigungsscore ist, der sehr auf Mobilität abzielt. Und vieles andere, was den Betroffenen wichtig ist, geistige Gesundheit, seelisches Gleichgewicht, das wird in diesem Score überhaupt nicht abgebildet.

Das Gleiche haben wir bei einer anderen Frage zur Diagnosestellung gesehen. Wir haben Ärzte und Patienten in Hamburg die Frage gestellt: Sollen Betroffene über eine mögliche Diagnose aufgeklärt werden? Sie sehen die hellgrauen Balken, (Abb. 2) das sind die Betroffenen. Die sagen zwischen 70 und 80 Prozent „ja, auf jeden Fall“ und es gibt nur ganz wenige, die sagen „nein, auf keinen Fall“. Das sieht bei den Ärzten ganz anders aus. Das mag sich aktuell mit der Frühtherapie vielleicht ein bisschen geändert haben, würde ich ketzerisch sagen, wo es ja darum geht, möglichst nach dem ersten Schub schon mit der ersten Interferon-Therapie anzufangen. Dazu gehört natürlich eine sehr frühe Diagnosestellung. Man müsste diese Befragung aus dem Jahr 2003 vielleicht noch einmal wiederholen.

Ich komme zu den Autonomie- Präferenzen: Wollen Menschen mit MS eigentlich mitentscheiden? Dazu gibt es die sogenannte „Control- Preferences-Scale“ (CPS), eine Skala mit 5 verschiedenen Autonomietypen. Das geht hier links bei A los mit den autonomen Entscheidungen (Abb.3), die ganz alleine getroffen werden. Danach folgt B „informed choice“ das bedeutet, ich möchte zwar entscheiden, der Arzt soll mich beraten, aber die Entscheidung soll immer noch meine sein. In der Mitte C, Sie erinnern sich an die beiden jungen Menschen aus dem Modell des „shared decision making“, beide entscheiden gemeinsam. Dann gibt es die Variante D „professional and agent“, der Arzt nimmt die Rolle des Anwaltes für mich wahr, entscheidet dann aber in meinem Sinne. Und zum Schluss E gibt es den paternalistischen Stil, ich begebe mich ganz in die Hände des Arztes.






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