FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 21. Jahrgang, 1. Halbjahr 2011

Bücherkiste

Jaron Bendkower: Mit Multipler Sklerose mitten im Leben.
Bericht eines Psychotherapeuten zu Selbstheilung und Resilienz.
Spektrum Akademischer Verlag,Heidelberg,
2010, 288 S.,19,95 EUR,
ISBN: 978-3-8274-2490-7

Der Autor Jaron Bendkower nimmt seine Leserinnen und Leser mit auf seine Reise mit der MS. Der Psychotherapeut beschreibt, wie es ihm mit der Erkrankung ergangen ist und wie er sie seiner Meinung nach überwunden hat. So lautet die zentrale Botschaft des Buches „MS ist heilbar!“ Das macht Hoffnung, und das ist ja nicht verkehrt. Wäre da nicht einen Absatz weiter der Satz „Sie (die Heilung, die Red.) gelingt nur dann, wenn auch der Wille zur Selbstheilung vorhanden ist“. Das heißt doch im Umkehrschluss, dass es allen, deren MS nicht geheilt ist, am nötigen Willen fehlt – eine unglaubliche Unterstellung, gerade, wenn man weiß, dass es viele MSSubtypen gibt und vieles rund um die MS noch gar nicht geklärt ist. Meint der Autor tatsächlich, dass diejenigen, die mit der MS leben und sie nicht überwunden haben, selber daran schuld sind?

Geärgert hat mich auch die Unterstellung einer typischen MS-Persönlichkeit: „MS-ler sind zumeist äußerst liebenswerte Menschen: einfühlsam, verständig, oft begnadet mit Vernunft und versehen mit einem hohem Bewusstsein.“ Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ist das jedenfalls nicht.

Ansonsten ist das Buch interessant geschrieben und streift vielerlei Aspekte rund um das Thema Selbstheilung einschließlich der Spiritualität. Der Autor äußert sich selbst folgendermaßen: „Schreiben ist fast so gut wie eine Therapie“. Wäre er dabei ganz bei sich geblieben und hätte er auf Verallgemeinerungen verzichtet, so hätte ich die Lektüre mehr genießen können. Wenn es LeserInnen gelingt, über die genannten Schwachstellen hinwegzusehen, kann es durchaus gewinnbringend sein, das Buch zu lesen.

Si


Andrea Flemmer: Alternative Therapien bei MS. Ganzheitliche,
komplementäre Therapien bei Multipler Sklerose – was wirklich hilft.

Hippocampus Verlag, Bad Honnef.
2. unveränderte Auflage 2009,
172 S., 17,80 EUR
ISBN: 978-3-936817-29-4


Der Titel des Werkes verspricht mehr als der Inhalt halten kann: Von den rund 150 Seiten (ohne Anhang) füllen rund ein Drittel allgemeine Ausführungen zur MS, zur medikamentösen (schulmedizinischen) Therapie sowie zu anderen konventionellen Therapieformen wie Physiotherapie, Logopädie etc. Auf 40 Seiten beschäftigt sich die Autorin mit Ernährungsfragen, 34 Seiten widmet sie anderen alternativen Methoden und Therapieformen. So ehrenwert die Motivation von Andrea Flemmer möglicherweise ist, MS-Betroffene vor teuren unwirksamen Methoden schützen zu wollen, so fragwürdig erscheint es mir, dass sie bei einigen Methoden bewiesene Wirksamkeit unterstellt, andere jedoch als „wissenschaftlich nicht getestet“ bezeichnet. Zu der ersten Gruppe gehören beispielsweise Feldenkrais, Yoga, Homöopathie, zur zweiten Gruppe unter anderem Tai Chi und die Kneipptherapie. Keine der aufgelisteten Therapien wird von den Kassen durchgehend bezahlt, was bei bewiesener Wirksamkeit doch eigentlich der Fall sein müsste. Mit dem Titelzusatz „was wirklich hilft“ und der angeblich bewiesenen Wirksamkeit weckt Flemmer meiner Ansicht nach zu große Hoffnungen. Ehrlicher wäre es meines Erachtens darauf hinzuweisen, dass alle genannten Methoden einigen MS-Betroffenen bereits geholfen haben, es aber keine Therapie gibt, die bei allen Betroffenen wirkt. Weiterer Kritikpunkt: In einen Ratgeber zu alternativen MS-Therapien gehören nach meiner Meinung auch Ausführungen zu psychotherapeutischen Ansätzen. Damit hat sich die Autorin offensichtlich noch nicht beschäftigt, sonst hätte sie „Killerphrasen“ wie „An MS zu erkranken, ist ein schlimmes Schicksal“ (im Vorwort) oder MS als „diese bösartige Krankheit“ zu bezeichnen (in der Zusammenfassung), sicherlich vermieden. Ein verzichtbares Buch.

Si


Bundesärztekammer:
Placebo in der Medizin.
Deutscher Ärzteverlag,Köln, 2011,
193 S., 29,95 EUR,
ISBN: 978-3-7691-3491-9

Mit dem Thema „Placebo“ haben wir uns in FORUM PSYCHOSOMATIK schon mehrfach befasst und immer eine verstärkte Forschung angemahnt – zuletzt ausführlich in der Ausgabe 2/2008 („Placebo – vom Ärgernis zum Forschungsgegenstand“). Nun hat die Bundesärztekammer auf Empfehlung ihres Wissenschaftlichen Beirates einen umfassenden Titel erstellt, der den derzeitigen Stand der Erkenntnis meines Erachtens gut wiedergibt. Dies beginnt schon bei der weit gewählten Definition, die besagt, dass es sich bei „Placebo“ nicht nur um pharmazeutische Darreichungsformen in Form von bunten Pillen handelt, sondern dass jede (!) medizinische oder psychosoziale Intervention (auch das Behandlungsumfeld oder die Arzt-Patient-Beziehung) unter diesem Wirkeffekt betrachtet werden muss. Ausführlich werden auch ethische Aspekte (dürfen Placebos etwa bei Nicht-Einwilligungsfähigen Personen angewandt werden?) oder juristische Aspekte (Haftungsfragen bei Einsatz von Placebos) behandelt. Überaus spannend in unseren Zusammenhängen liest sich das Kapitel 9 „Die Bedeutung der Rolle des Arztes und des therapeutischen Settings für den Placeboeffekt“, in dem neben der Bedeutung der Kommunikation auch die Rolle des Geschlechtes und von soziokulturellen Faktoren (Migrationshintergrund) betrachtet werden. Gut gefallen haben mir auch die jeweiligen Zusammenfassungen und Literaturübersichten nach jedem einzelnen Kapitel und eine abschließende Gesamtschau, die die Relevanz des Placeboeffektes für klinische Studien oder die therapeutische Praxis betont. Ein Verzeichnis der Fachbegriffe (Glossar) rundet den überaus empfehlenswerten Titel ab. Kompliment an den Ärzte- Verlag! Dahinter gibt es kein Zurück mehr!

HGH


Waadt/Duran/Berg/Herschbach:
Progredienzangst Behandlung von Zukunftsängsten bei chronisch Kranken

Schattauer Verlag, Stuttgart,2011,
230 S., 39,95 EUR,
ISBN: 978-3-7945-2790-8


Progredienzangst – dahinter verbirgt sich die Angst vor einem Fortschreiten der Erkrankung mit allen negativen Folgen. Eine solche Angst kann eine der größten Belastungen für chronisch kranke Frauen und Männer sein: Gerade bei der MS, bei der es mit dem „chronisch progredienten“ Verlauf (neben dem schubförmigen) sogar eine begriffliche Festschreibung in dieser Hinsicht gibt. Wenn eine derartige Angst den Blick auf die Zukunft verstellt, mindert sie in hohem Maße die Lebensqualität und kann sogar eine angemessene Therapie verhindern.

Ein solches Phänomen tritt jedoch nicht nur bei der Erkrankung an MS, sondern auch bei Diabetes Mellitus, Krebs, Rheuma oder Morbus Crohn auf. Deshalb ist es auch nur konsequent, dass die AutorInnen all diese chronischen Erkrankungen im Blick haben, wenn sie ihr Manual darlegen. Manual – das bedeutet eigentlich „Handbuch“. In der vorliegenden Publikation ist darunter eher eine theoretisch fundierte Grundlage (erster Teil) sowie eine Handlungsanleitung (zweiter Teil) zur Behandlung solcher Zukunftsängste zu verstehen. Die „Behandlung“ erfolgt nach drei grundlegenden Bausteinen (Modulen): Modul 1 – Selbstbeobachtung und Diagnostik, Modul 2 – Angstkonfrontation und Neubewertung und Modul 3 – Verhaltensänderung und Lösungen. Im Modul 3 spielen dann auch Entspannungsverfahren und Achtsamkeitsmeditationen eine Rolle. Ferner geht es um eine „Ressourcenaktivierung“, also die Rückbesinnung auf die eigenen Kräfte und die Erstellung eines Aktionsplanes zur Verhaltensänderung. Empowerment pur, wenn ich das hier so flapsig sagen darf und eine dicke Empfehlung für die Praxis!

HGH


Bernd Hontschik:
Herzenssachen – So schön kann Medizin sein

weissbooks GmbH, Frankfurt am Main, 2009,
131 S. 5,00 EUR (Modernes Antiquariat)
ISBN: 978-3-940888-03-7

„Der Unterschied zwischen einem kranken Menschen beim Arzt und einer defekten Maschine in der Werkstatt ist fundamental. Wenn die Medizin das vergisst, ist sie keine mehr.“ Dieses Zitat stammt aus einer Medizin-Kolumne, die der Frankfurter Arzt Bernd Hontschik regelmäßig in der „Frankfurter Rundschau“ veröffentlicht. Es könnte auch das übergreifende Motto der 35 Beiträge sein, die hier in der kleinen Anthologie „Herzenssachen“ versammelt sind, denn Hontschik ist Vertreter einer „integrierten Medizin“, wie sie von Thure von Uexküll entwickelt wurde. Viele der Texte behandeln den Einfluss der Pharmaindustrie oder die grotesken Auswirkungen eines bürokratisch organisierten Gesundheitssystems. Der Autor kritisiert die geplante elektronische Gesundheitskarte und begründet, warum er dem Verein MEZIS (Mein Essen bezahle ich selbst) beigetreten ist.

Der Inhalt ist die Investition der 5 EURO mehr als wert (Geschenktipp!): Meine grauen Zellen jedenfalls fühlten sich nach der Lektüre der mit „Herzblut“ geschriebenen Texte durchgepustet und aufgefrischt an – so schön kann Lesen sein!

HGH







voriger Artikel ** letzter Teil
FP-Gesamtübersicht
Startseite