FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 25. Jahrgang, 2. Halbjahr 2015

Partizipation - Partizipative Forschung

In den vergangenen 25 Jahren war es immer ein Anliegen der Stiftung LEBENSNERV, alternative beziehungsweise neue Forschungsansätze aufzugreifen und in FORUM PSYCHOSOMATIK vorzustellen – schließlich ist LEBENSNERV der Forschungsförderung verbunden, wie es unser Namenszusatz „Stiftung zur Förderung der psychosomatischen MS-Forschung“ besagt. In der Ausgabe 2-2013 haben wir erstmalig über „Partizipative Gesundheitsforschung“ berichtet. In dieser Ausgabe wollen wir dies noch einmal aufgreifen und uns auch näher damit befassen, was mit „Partizipativer Forschung“ überhaupt gemeint ist. Dazu werden wir uns zunächst noch einmal mit dem menschenrechtlich geprägten Begriff der „Partizipation“ befassen und dann auf den Aspekt der Forschung eingehen.

Teil I: Zum Begriff der Partizipation

Partizipation in der UN-Behindertenrechtskonvention

Wenn von der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) gesprochen wird, so ist "Inklusion" der meistgenannte Begriff, obgleich er in der amtlichen deutschen Übersetzung gar nicht auftaucht. Ein anderer zentraler Begriff dagegen fristet eher ein Schattendasein, obgleich er ein "Querschnittsanliegen" der UN-BRK ist: Die Rede ist von "Partizipation". An insgesamt 25 Stellen der 50 Artikel ist im englischen Originaltext von "participation" oder "to participate" die Rede, vielfach in Verbindung mit dem Zusatz "full", also "umfassend". In der deutschen Fassung der Konvention - sowohl in der amtlichen Übersetzung als auch in der Schattenübersetzung des NETZWERK ARTIKEL 3 e.V. - wird "participation" mit "Teilhabe" übersetzt. Doch die Wissenschaftlerin Marianne Hirschberg kritisiert: "bei dieser Übersetzung gehen jedoch wesentliche Aspekte, die die Konvention mit dem Begriff ´Partizipation` verbindet, etwa der Aspekt der Mitbestimmung, verloren. Die Frage lautet also, was genau unter dem Begriff der "Partizipation" zu verstehen ist und was der Unterschied zum deutschen Begriff "Teilhabe" bedeutet.

"Partizipation" in Politik- und Gesundheitswissenschaften

Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Gegenwartssprache (DWDS) leitet den Begriff aus dem Lateinischen ab und verweist auf die Bestandteilen "pars" = "Teil" und "capere" = nehmen, fangen, (er)greifen. Partizipieren ist demnach "teilnehmen, sich beteiligen". Wenn eine Person oder eine Organisation "partizipiert", greift sie sich sozusagen einen Teil. Traditionell taucht der Begriff im Bereich der Politikwissenschaften auf, in jüngerer Zeit jedoch auch in den Gesundheits- und Sozialwissenschaften, speziell in der Gesundheitsforschung. Die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) definiert in ihrem Politlexikon "Partizipation" wie folgt: "Partizipation bezeichnet die aktive Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen bei der Erledigung der gemeinsamen (politischen) Angelegenheiten...In einem rechtlichen Sinne bezeichnet Partizipation die Teilhabe der Bevölkerung an Verwaltungsentscheidungen."

Sind "Partizipation" und "Teilhabe" deckungsgleich?

Die Fachliteratur macht deutlich, dass Partizipation im Deutschen eine Doppelbedeutung hat: einmal kann damit ein eher "konsumierendes Teil-Nehmen" gemeint sein, andererseits ein "gestaltendes Teil-Haben", meint der Wissenschaftler Michael Vester. In Anlehnung an eine andere Wissenschaftlerin, Susanne Hartung müsste man "Partizipation", mit "Entscheidungsteilhabe" übersetzen, im Deutschen leider ein Wortungetüm, aber dem Sinn nach zutreffender.

Aus dem Bereich der Gesundheitsforschung wird diese Position von den AutorInnen Wright/Block/von Unger gestützt: "Partizipation bedeutet in unserem Verständnis nicht nur Teilnahme, sondern auch Teilhabe, also Entscheidungsmacht bei allen wesentlichen Fragen der Lebensgestaltung. Dazu gehört die Definitionsmacht und somit die Möglichkeit, die Gesundheitsprobleme (mit-)bestimmen zu können, die von gesundheitsfördernden bzw. präventiven Maßnahmen angegangen werden sollen. Je mehr Einfluss jemand auf einen Entscheidungsprozess einnimmt, umso größer ist seine/ihre Partizipation."

Die Hamburger Sozialwissenschaftlerin Iris Beck stellt zum Begriff der Partizipation fest, dass er eine "soziale Dimension" beim "Zugang zu Handlungsfeldern und Lebensbereichen" und eine "politische Dimension der Beteiligung in Form von Mitwirkung und Mitbestimmung" umfasse. Beck unterscheidet ferner die Begriffe "Teilhabe" und "Teilnahme" im Feld von Behinderung: "Teilhabe meint in erster Linie die Vergabe von Rechten und die Gewährung von Leistungen. Ob damit auch eine Teilnahme erfolgt, ob der Adressat der Leistung sein Recht wahrnimmt...ist damit nicht gesagt. Die in Demokratietheorien geläufige Unterscheidung von Teilhabe und Teilnahme verweist somit auf eine wichtige Differenz. Teilnahme ist aktiv und bezieht sich auf das Individuum; zur Realisierung muss der Einzelne teilnehmen wollen, er braucht dafür aber auch zugängliche Kontexte. Damit wird das Wechselspiel zwischen dem Einzelnen und seinem Umfeld betont; der rechtliche Anspruch auf Teilhabe allein reicht nicht aus". Konsequenterweise stellt Beck dann ebenfalls die deutsche Übersetzung von "participation" mit "Teilhabe" im Konventionstextes in Frage, "wenn damit Gehalt verloren geht".

Ähnlich argumentieren Mißling / Ückert in einer Studie zur inklusiven Bildung, die vom Deutschen Institut für Menschenrechte herausgegeben wurde: "Die Partizipation von Menschen mit Behinderungen an gesellschaftlichen Vorgängen jeglicher Art ist ein menschenrechtliches Kernanliegen und Querschnittsthema der UN-BRK. Der Partizipationsbegriff der UN-BRK geht über den deutschen Begriff der Teilhabe hinaus; er ist im Sinne umfänglicher Teilnahme (kursiv i.O.) zu verstehen. Umfasst wird hiervon politische Einflussnahme durch Interessenvertreter und Interessenvertreterinnen auf Gesetzgebungsvorhaben, aber auch die Mitwirkung von Betroffenen, Interessen- und Betroffenenverbänden an Entscheidungen...".

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Begrifflichkeiten von "Teilhabe" und "Teilnahme" etwas schillernd daherkommen und - je nach AutorIn - anders akzentuiert werden. Hilfreich könnte es deshalb sein, ganz auf diese Begrifflichkeiten zu verzichten und - ohne Eindeutschung - von "Partizipation" zu sprechen.

Modelle der Partizipation

In der Literatur existieren zum Begriff der Partizipation mehr oder weniger abgestufte Modelle, die den Grad der Partizipation beziehungsweise Nicht-Partizipation verdeutlichen sollen und an denen real existierende Formate der (Nicht-) Beteiligung gemessen werden können. Im deutschen Sprachraum stößt man auf ein Partizipationsmodell zur BürgerInnen-beteiligung aus Österreich das drei Stufen in der Frage "Beteiligung der Öffentlichkeit" unterscheidet. Es kennt die folgenden drei Intensitätsstufen:



Diese Dreiteilung wird auch vom deutschen "Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung" aufgegriffen. Sie erscheint jedoch nicht ausreichend, vor allem dann nicht, wenn man sich im Vergleich dazu die nachfolgend dargestellten komplexeren Stufenmodelle zur Partizipation ansieht, die über das Ziel der "Beteiligung der Öffentlichkeit" hinausgehen.

Leiter - und Stufenmodelle

Diese Partizipationsmodelle gehen in der Regel auf eine frühe Veröffentlichung aus dem Jahr 1969 der US-amerikanischen Planungstheroretikerin Sherry R. Arnstein und ihr Modell einer "ladder of participation" (Leiter der Partizipation) zurück, die sie für den Bereich der Stadtentwicklung entworfen hat:

In dieser Aufgliederung geht sie von drei Komplexen mit insgesamt acht Abschnitten aus. Sie beginnt mit zwei Abschnitten im Bereich der "Nonparticipation" (Nicht-Partizipation). Der folgende Bereich stellt "Tokenism" (Alibipolitik) dar, der das "Informieren", "Anhören" und "Besänftigen" umfasst. Wirkliche Partizipation mit einer schrittweisen Zunahme der Entscheidungsmacht beginnt bei ihr erst bei den Abschnitten 6-8, der "Citizen Power", also der "Macht der BürgerInnen", die die Stufen "Partnerschaft", Delegierte Macht" und "BürgerInnen-Kontrolle" umfasst. Arnstein betont selber, dass dies eine idealtypische und vereinfachende Beschreibung, doch hilfreich in der Unterscheidung sei, wenn es um die Partizipation von BürgerInnen geht.

Da die UN-Kinderrechtskonvention ebenfalls die Partizipation von Kindern und Jugendlichen stark betont, wundert es nicht, dass Josef R. Hart im Auftrag der UNICEF im Jahr 1992 dieses Modell von Arnstein auf die Partizipation von Kindern angewandt und die acht Abschnitte neu benannt hat. In "Compasito", dem Handbuch der Menschenrechtsbildung mit Kindern aus dem Jahr 2009, findet man den Ansatz von Hart wie folgt übersetzt - die Stufen der Nicht-Partizipation sind: 1. Fremdbestimmung, 2. Dekoration, 3. Alibi-Teilhabe. Danach folgen die Stufen der Partizipation: 4. Zugewiesen, aber informiert 5. Mitwirkung, informiert sein 6. Von Erwachsenen initiiert, Entscheidungen werden zusammen mit Kindern gefällt 7. Von Kindern initiiert und durchgeführt 8. Von Kindern initiiert, Entscheidungen werden gemeinsam mit Erwachsenen gefällt.

Im Bereich der Gesundheitsförderung hat Trojan bereits 1988 ein zwölf-Stufenmodell der Bürgerbeteiligung für den deutschen Sprachraum auf Basis der Vorarbeiten von Arnstein entwickelt. Aus der partizipatorischen Gesundheitsforschung stammend, haben Wright/Block/von Unger im Jahr 2007 ein neun-Stufen-Modell der Partizipation erstellt, das sich ebenfalls an die Arnstein-Vorgaben anlehnt hat (vergleiche dazu FORUM PSYCHOSOMATIK, Ausgabe 2-2013, S. 20 ff). Diesen Ansatz werden wir im Teil II noch einmal aufgreifen. Weitere Publikationen stützen sich auf eine siebenstufig gegliederte "Partizipations-Pyramide".

Das CLEAR-Modell

In einer Arbeitshilfe des nordrhein-westfälischen Arbeits- und Sozialministerium wird das CLEAR-Modell zur Partizipation dargelegt, das auf der Grundlage von kommunalen Fallstudien in Großbritannien entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um fünf horizontale Qualitätskategorien, die "berücksichtigt werden müssen, um Menschen zur Partizipation zu motivieren, zu befähigen und zu mobilisieren", wie es in der Arbeitshilfe heißt. Diese fünf Kategorien lauten:

C an do: Kompetenzentwicklung im Sinne von politischem Empowerment
L - ike to: Menschen mit Behinderungen motivieren, sich für ihre Angelegenheiten einzusetzen
E - nabled to: Die Instrumente und Strukturen der Beteiligung müssen einer breiten Öffentlichkeit bekannt sein
A - sked to: Menschen mit Behinderungen als ExpertInnen anfragen und barrierefreie Beteiligung sichern
R - espond to: Transparenz der Arbeit, Auswertung, Messung des Erfolges der Partizipation

Auf dieser Basis können neue Form der Partizipation entstehen, wie es in der Arbeitshilfe heißt. Das wird auch - bezogen auf die kommunale Ebene der Behindertenpolitik - als dringend erforderlich festgestellt: "So können die Rechte der Information, der Anhörung und der Einladung zu Beratungen, die häufig Behindertenbeiräten zuerkannt werden, als Vorstufen der Partizipation bezeichnet werden. Die verbindliche Mitbestimmung, die Ausgestaltung eines eigenen Entscheidungsbereichs oder das Einräumen eines Vetorechts, beispielsweise bei der barrierefreien Ausgestaltung öffentlicher Gebäude, stellen hingegen Formen echter Partizipation dar".

In Nordrhein-Westfalen lief bis Dezember 2015 auch ein von der Landesregierung gefördertes Projekt der Universität Siegen unter dem Titel „Politische Partizipation für Menschen mit Behinderung in den Kommunen stärken!“ Dabei wird "analysiert, welche Partizipationsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung auf kommunaler Ebene in NRW vorhanden sind und wie sie nachhaltig gestärkt werden können. Ziel des Projektes ist es, flächendeckend in NRW die Selbsthilfe zu stärken und zu fördern, so dass sie vor Ort ihre Teilhabe-Rechte zuverlässig und nachhaltig ausüben können." Neben der Entwicklung von Eckpunkten für geeignete Partizipationsmodelle sollen in diesem Projekt auch Handlungsempfehlungen für die Landesregierung erarbeitet werden.

Partizipation in den Bereichen Gesundheit und Pflege

Wie bereits ausgeführt, gibt es neben dem Feld der politischen Partizipation in den Bereichen Gesundheit und Pflege weitergehende Ansätze der Mitsprache, was auch durch Begrifflichkeiten der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) deutlich wird. Die ICF wurde im Jahr 2001 von der Vollversammlung der World Health Organization (WHO) verabschiedet und ist als Klassifikation für das deutsche Gesundheitssystem empfohlen. Die ICF arbeitet mit einem dreiteiligen Modell der Wechselwirkungen: Körperstrukturen - Aktivitäten - Partizipation. Letzterer Begriff wird in der deutschen Fassung wieder mit "Teilhabe" übersetzt.

Eine Initiative zur stärkeren Beteiligung von PatientInnen im Gesundheitswesen basiert auf dem Prinzip des "Shared Decision Making" (SDM), einem aus England stammenden Modell aus den 90er Jahren, das im Deutschen mit "Partizipative Entscheidungsfindung" (PEF) übersetzt wird und dort seit Anfang 2000 diskutiert und vor allem in der Kommunikation zwischen ÄrztInnen und PatientInnen angewandt wird (auch hierüber haben wir in FORUM PSYCHOSOMATIK bereits mehrfach berichtet).

Teil II: Partizipative Forschung

Kommen wir nun zum Aspekt der Forschung. Die Wissenschaftlerin Hella von Unger, die derzeit eine Professur für Qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung in München innehat (siehe dazu auch die Besprechung ihres Buches in dieser Ausgabe) beschreibt in einer Einführung, was unter "partizipativer Forschung" zu verstehen ist.

"Partizipative Forschung ist ein Oberbegriff für Forschungsansätze, die soziale Wirklichkeit partnerschaftlich erforschen und beeinflussen. Ziel ist es, soziale Wirklichkeit zu verstehen und zu verändern. Diese doppelte Zielsetzung, die Beteiligung von gesellschaftlichen Akteuren als Co/Forscher/innen sowie Maßnahmen zur individuellen und kollektiven Selbstbefähigung und Ermächtigung der Partner/innen (Empowerment) zeichnen partizipative Forschungsansätze aus. Der Begriff der Partizipation ist von zentraler Bedeutung. Er bezieht sich sowohl auf die Teilhabe von gesellschaftlichen Akteuren an Forschung als auch auf Teilhabe an der Gesellschaft. Ein grundlegendes Anliegen der partizipativen Forschung ist es, durch Teilhabe an Forschung mehr gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Es handelt sich also um ein klar wertebasiertes Unterfangen: Soziale Gerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit, Menschenrechte, die Förderung der Demokratie und andere Wertorientierungen sind treibende Kräfte....Partizipative Forschung ist kein einzelnes, einheitliches Verfahren, sondern ein 'Forschungsstil'".

Nach von Unger gibt es drei zentrale Bestandteile einer partizipativen Forschung:

- Beteiligung von Co-ForscherInnen: Diese ForscherInnen werden auch als "peer-researcher" bezeichnet. Sie sind an allen Stufen des Forschungsprozesses gleichberechtigt beteiligt von "der Zielsetzung, über die Wahl des Forschungsdesigns, die Datenerhebung und Datenauswertung bis zur Verwertung". Die Co-ForscherInnen müssen natürlich im Vorfeld geschult werden.
- Empowermentprozesse: Eine Beteiligung ohne Empowerment läuft nach von Unger Gefahr, der "Instrumentalisierung und Manipulation Vorschub zu leisten". Deshalb sei es notwendig, sich über die Stufen der Partizipation im Klaren zu sein. Alle Beteiligten sollten außerdem gestärkt aus dem Prozess der Zusammenarbeit hervorgehen.
- doppelte Zielsetzung: soziale Wirklichkeit verstehen und verändern. In vielen Regionen der Welt, so von Unger, werde partizipative Forschung von sozialen Bewegungen, von Bürgerrechtsbewegungen, antirassistischen und feministischen Bewegungen beeinflusst und trage so auch zur Weiterentwicklung der jeweiligen Bewegungen bei.

Partizipative Gesundheitsforschung

Die am weitesten fortgeschrittenen Ansätze der partizipativen Forschung in Deutschland sind im Feld von Public Health beziehungsweise der Gesundheitsforschung zu beobachten: PGF heißt eine spannende Abkürzung. Sie bedeutet "Partizipative Gesundheitsforschung". Ein Vertreter der PGF ist der bereits erwähnte Michael T. Wright, der mit anderen WissenschaftlerInnen das oben bereits vorgestellte neun-stufige Modell der Partizipation entwickelt hat. Wright betont: "Das Kernprinzip der Partizipation unterscheidet die PGF wesentlich von anderen Formen der Gesundheitsforschung. Forschung wird nicht an, sondern mit den Menschen betrieben, deren Lebensverhältnisse oder Arbeitsweisen erforscht werden. Es werden keine abstrakten ´Daten` generiert, die einen Abstand zu den Beforschten voraussetzen, sondern Informationen über das Leben beziehungsweise die Arbeit von den Menschen gewonnen, die sie selbst für relevant halten. Der Forschungsprozess wird als Partnerschaft zwischen allen Beteiligten (Stakeholdern) betrachtet, zu denen unter anderem WissenschaftlerInnen, Fachkräfte des Gesundheits-, Sozial- oder Bildungswesens und engagierte BürgerInnen der Zivilgesellschaft gehören. Um sich ´partizipativ` nennen zu können, muss ein Forschungsprojekt die Menschen in den Forschungsprozess einbinden, deren Leben oder Arbeit im Mittelpunkt der Forschung stehen."

Disability Studies - wir forschen selbst!

Ein anderer Forschungsansatz, der interdisziplinär und menschenrechtlich ausgerichtet ist, sind die "Disability Studies (DS)", die vor rund 30 Jahren in Großbritannien und den USA entwickelt wurden. Disability Studies forschen im Feld "Behinderung" und betrachten Behinderung nicht unter einem medizinischen Aspekt, sondern vor allem als ein soziales und gesellschaftliches Geschehen. In Deutschland ist diese Forschungsrichtung mit erst drei Instituten noch sehr jung. Disability Studies beziehen sich aktuell auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Sie kritisieren beispielsweise die Sonderwelten für behinderte Menschen und fordern, dass jegliche Forschung menschenrechtsbasiert erfolgen müsse. "Wo früher oft Behinderte nur als Objekt der Forschung dienten, sollen sie jetzt als deren Subjekte ihre eigene Sicht mit in den Forschungsprozess einbringen", formuliert die Arbeitsgemeinschaft Disability Studies. Die maßgeblichen AkteurInnen der DS leben in der Regel selbst mit Behinderung und ein Schlagwort in der Entstehung der DS lautet demnach "Wir forschen selbst!".

Fazit

Auch wenn partizipative Forschung von manchen KritikerInnen als zu "unwissenschaftlich", weil zu anwendungsorientiert abgelehnt wird, gehört sie meiner Meinung nach zu den aktuellen Forschungsansätzen, die stärker ausgebaut und gefördert werden sollten. Dies bedeutet keinen Alleinvertretungsanspruch, sondern versteht sich als ein Plädoyer für eine faire Chance für partizipative Forschung im etablierten Wissenschaftsbetrieb.

HGH
Literatur ist beim Autor erhältlich





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