Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/98

Teil 2: "Laudatio" von Peter Henningsen

In Ihrer Arbeit „Krankheitsbewältigung bei MS im fortgeschrittenen Stadium unter besonderer Berücksichtigung der Versorgungssituation“ haben Sie, Herr Beese, einen scheinbar ganz anderen Weg gewählt, denn Sie haben schwerbehinderte MS-Kranke mit einem mehrteiligen Fragebogen über ihre Lebenssituation, über die Zufriedenheit, die seelische Verfassung und die soziale Unterstützung im Heim befragt. Fragebogen – das klingt schnell nach objektivierender Forschung, weit weg von der Erfassung der individuellen Situation der einzelnen Beforschten. Aber es kommt eben darauf an, wie, wozu, aus welchen Motiven Fragebögen eingesetzt werden – davon hängt es ab, wie sehr man den Beforschten auch in seinem subjektiven Recht gelten läßt. Mir scheint, daß Sie das getan haben, indem Sie aus genauer Vorkenntnis der Situation einer sonst gern vergessenen Gruppe von schwerkranken, im Heim versorgten Menschen Gehör verschafft haben – und zwar auf eine Weise, die durch assistiertes Ausfüllen der Fragebögen der Situation der Schwerkranken vermutlich angemessener ist als die (möglicherweise) Zumutung eines wenig strukturierten Interviews. Über die Ergebnisse werden auch Sie gleich selbst berichten – aber ich hoffe, daß aus dem Wenigen, daß ich hier über die beiden heute zu prämierenden Arbeiten gesagt habe, erkennbar wird, warum in ihnen heute auch ein Stück mögliche Zukunft des Forschungspreises der Stiftung LEBENSNERV sichtbar wird.

Bei der Preisverleihung vor zwei Jahren hatte ich an dieser Stelle überlegt, ob es nicht für den Forschungspreis der Stiftung darum gehen müßte, einen Begriff von psychosomatischer Forschung zu entwickeln, der sich aus mehreren Perspektiven, aus unterschiedlichen Distanzen zwischen dem Forscher-Subjekt und seinem Objekt, sei es die Multiple Sklerose oder der an ihr erkrankte Mensch, zusammensetzt. Unterschiedlichkeit der Perspektiven bezog sich damals sowohl auf die verschiedenen methodische Ansätze als auch auf den Unterschied zwischen Forschenden, die selbst MS-Betroffene sind und solchen, die die Krankheit aus therapeutischer Perspektive im weiteren Sinne kennen. Bei der Lektüre der beiden heute auszuzeichnenden Arbeiten dachte ich, ob man nicht eigentlich genauer als in der damaligen Formulierung angeben könnte, welche Art von Forschung aus Sicht der Stiftung besonders förderungswürdig sein könnte. Das schon erwähnte Weizsäcker-Wort von der Einführung des Subjekts in die Medizin kann dabei möglicherweise, wie gesagt, so etwas wie einen Leitbegriff abgeben. Davon ausgehend läßt sich zunächst einmal angeben, welcher Typus von psychosomatischer MS Forschung möglicherweise nicht primär von der Stiftung gefördert werden sollte: Ich meine die Art von Forschung, die zwar formal „psychosomatisch“ ist, insofern sie psychische und somatische Faktoren zugleich erfaßt, die beide Ebenen aber ausschließlich mit der objektivierenden Methode der konventionellen Naturwissenschaft mißt. Als ein Beispiel wären hier Arbeiten aus dem Umfeld der Psychoneuroimmunologie zu nennen. Das ist ja ohne Zweifel ein wichtiges Gebiet der Grundlagenforschung – aber der Bezug zur Lebensrealität von MS-Kranken bleibt doch sehr indirekt, vermittelt. Es macht im Grunde keinen Unterschied, ob das Forschungsobjekt eine Ratte ist, eine Nervenzellkultur oder eben ein MS-Patient – in keinem Fall wird hier ein Subjekt eingeführt in die Forschung.

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