Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/05

Von heilenden Worten und Killersätzen


RINK Bei unseren gemeinsam geleiteten Seminaren war es nie wichtig, dass Du keine MS hast.
Und obwohl ich Beispiele aus dem MS-Alltag beisteuere, vergesse ich da immer wieder, dass ich MS
habe. Ja, ich bin schon am Ende eines Seminars gefragt worden: „Und was haben Sie für eine Erkrankung?“
Durch empathisches Interesse für die Teilnehmer, das Verstehenwollen wie sich zum Beispiel
ein Symptom anfühlt, schaffst Du viel Nähe zu den Betroffenen, die so oft erleben, dass Gesunde
nichts von Ihrer Erkrankung wissen möchten. Ich denke da gerade an den früheren
Kollegen meines Mannes, der mich fragte, wie es mir gehe. Es war kurz nach einem Krankenhausaufenthalt
und ich fühlte mich mies. Daher sagte ich wahrheitsgemäß: „Ach, nicht so gut!“ Er antwortete:
„Das ist die Hauptsache!“ drehte sich um und ging. An F. kann ich mich auch noch
gut erinnern. Durch unsere Übung bekam ich einen Einblick, wie es einem Mediziner wohl geht, wenn
er die schwierige Aufgabe hat, einem jungen Menschen die Diagnose einer chronisch unheilbaren
Erkrankung zu vermitteln. Wenn ich mal wieder das Verhalten eines Mediziners nicht nachvollziehen
kann, denke ich an F. und bekomme mehr Verständnis für so manche verbale Ungeschicklichkeit.

KADAUKE Was ist für Dich die Bedeutung eines Beraters /Therapeuten/ Professionellen, der nicht die
Erfahrung mit dieser Krankheit teilt – der nicht betroffen ist?

RINK Nicht an MS erkrankte Berater haben meines Erachtens eine wichtige Funktion, Sie können
dem Betroffenen Fenster öffnen, die ihm im Gespräch mit Gleichbetroffenen verschlossen bleiben.
Ich meine damit, in einem Gespräch unter Betroffenen wird vorausgesetzt: „Du hast auch MS, Du
weißt, was ich meine!“ Aber weiß er das wirklich? Ist es nicht wie bei einem alten Ehepaar, das meint,
immer schon zu wissen, was der Ehepartner denkt und fühlt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass da
jede Menge Potential für Konflikte versteckt ist. Du, nicht an MS Erkrankte,
fragst nach, versuchst zum Beispiel Symptome zu verstehen und nachvollziehen zu können,
wie sie sich anfühlen. So hat Dein Gegenüber die Gelegenheit, sein Befinden oder Denken zu reflektieren.
Du gehst möglicherweise offener in ein Gespräch.

KADAUKE-RINK Wir haben jetzt drei Seiten gestreift, die des Betroffenen,
die der betroffenen professionellen Beraterin und die von „außenstehenden“ professionellen
Beratern, Sätze und Gedanken gesammelt.

Gespräche fördern oder stören

Gesprächsförderer – von denen
Heilung ausgehen soll - sind bereits angeklungen. Da sind zu nennen, das Zuhören, das Ansprechen
von Gefühlen, das Nachfragen, das Klären, das Wiederholen, das Umschreiben und das Zusammenfassen.
Das „Aktive Zuhören“ als Technik umfasst diese Elemente und ist somit ein Mega-Gesprächsförderer.
Doch leider gibt es auch Gesprächsverhalten, das ein Gespräch blockieren kann, die so genannten
Gesprächsstörer, zu denen auch die Killerphrasen gehören. Sie alle kennen diese Störer
aus dem Alltag. In Gesprächen werden Vorschläge und Lösungen angeboten, es werden Ursachen
aufgezeigt, Hintergründe gedeutet und es werden Menschen in Schubladen gesteckt. Wer Sie
nicht überreden kann, stellt Gegenbehauptungen auf und wenn er damit nicht weiterkommt,
bleibt ja noch das Verspotten, Ironisieren und Nicht-Ernst-Nehmen. Von sich zu reden, Lebensweisheiten
zum Besten zu geben, oder jemanden auszufragen, wird häufig von Laienberatern als die Möglich-
keit gesehen, ein gutes Gespräch zu führen. Abschließend möchte ich die Hardliner nicht vergessen,
die in Gesprächen drohen, befehlen, warnen und Vorwürfe machen. Sie werden sicherlich schnell
für jeden Gesprächsstörer ein Beispiel aus Ihrem Leben parat haben.


Ein Beziehungsdreieck

Gespräche zwischen dem professionellen Therapeuten/Berater und dem MS-betroffenen Menschen
lassen sich durch ein Dreieck darstellen.
Die Ecken des Dreiecks, die sich jeweils im Zentrum eines Kreises befinden, symbolisieren den Klienten,
den Berater/Professionellen und die Krankheit.
Je nach Größe der Kreise ergeben sich Überschneidungen und Schnittmengen.
Die Schnittmenge Klient/Krankheit ist bildhaft die Beziehung des Klienten zu seiner Krankheit. Die
Schnittmenge Professioneller/ Krankheit stellt den Bezug dar, den der Arzt, der Berater zu der
Krankheit aus eigener Erfahrung, im Hinblick auch auf sein Wissen hat. Die dritte Schnittmenge zeigt
die Beziehung, die Begegnung zwischen Professionellem und Klient. Dort, wo sich die Kreise in
der Mitte überschneiden, ist der Ort des Gesprächs.
Im Dreieck bekommen Bezüge ein Gewicht, die für das Gespräch von Bedeutung sind, es sind die
Beziehungen der beiden Gesprächspartner zu Krankheit – ihrer eigenen oder den Vorstellungen
über die Krankheit, die sie haben, und die Beziehung der beiden Gesprächspartner zueinander.

Auffallend ist beim Dreieck die Schnittmenge zwischen Professionellem und Klient, bei dem
die Krankheit nicht zu Wort kommt. Die Beziehung zwischen den beiden Gesprächspartnern
wird getragen durch menschliches
Interesse aneinander. Ein Blick auf die „Ecke des Klienten“ zeigt: Ein großer Teil seines
Kreises wird nicht von der Krankheit erfasst. So ist der Begriff Patient/ oder Klient als Rollenbezeichnung
in dieser Ecke auch unpassend gewählt. „Mensch“ wäre richtiger. Man kann dies mit Aspekten
der Salutogenese belegen, mit Hinweisen darauf, dass Menschen nicht nur besetzt von
ihren Krankheiten, Problemen, Störungen sind, sondern dass zu weiten Teilen gesunde Bereiche von
Bedeutung sind. So sind also auch Beziehungen zwischen Berater und Klient nicht auf die reine Problemorientierung
und Rollenorientierung eingeschränkt.

KADAUKE Harriet, als wir das Dreieck zum ersten Mal aufgezeichnet hatten, sagtest Du: „Und
da kommt die Energie her…“

RINK Nach meiner Vorstellung baut sich unser Dreieck auf einem Fundament auf, das zunächst
nichts mit gesprochener Sprache zu tun hat. Es ist die Begegnung, die wir brauchen, um später verbal
erfolgreich kommunizieren zu können. Eine von gegenseitigem Respekt getragene Beziehung,
die unter anderem von Gesprächsförderern angestoßen werden kann, setzt Energie frei, die Wirkung
auf andere Lebensbereiche hat. Anders ausgedrückt, eine erfolgreiche
Auseinandersetzung mit MS oder einem MS-relevanten Thema wirkt auf Bereiche wie Familie,
Freundschaft, Beruf ein und das nicht nur beim MS-Betroffenen, sondern auch beim Berater






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