Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/04
ExpertIn für das eigene
Gesund-Sein


Aktuelle Forschungsprojekte, insbesondere aus der Gesundheitspsychologie und den Sozialwissenschaften beschäftigen sich mit dem Thema der subjektiven Sicht von Gesundheit. Dabei ergeben sich übereinstimmend interessante Ergebnisse: Laien haben ein umfassendes Verständnis von Gesundheit, das überwiegend positiv bestimmt ist. Sie integrieren in ihre Vorstellungen durchgehend somatische und psychische Aspekte und berücksichtigen die soziale Perspektive, indem sie ihren Beruf und das Familienleben einbeziehen. Subjektive Vorstellungen über Bedingungen von Gesundheit enthalten psychosoziale Faktoren wie Ausgeglichenheit und positive soziale Beziehungen, Faktoren der
Lebensweise wie gute Ernährung und körperliche Bewegung. Die Lebensweise, psychische Einstellungen
und Belastungen (im Beruf und in der Familie) sowie Zeit zur Ruhe und Entspannung spielen in
allen Studien als Bedingungen von Gesundheit eine wichtige Rolle. Dagegen bestimmen Ärzte und
Ärztinnen Gesundheit nach wie vor primär über die Abwesenheit von Krankheit; Krankenpflegepersonal
dagegen integriert in das Verständnis von Gesundheit sowohl positive wie negative Aspekte
(Faltermaier 1998a, S.41).

In einer empirischen Untersuchung mit 86 gesunden Männern und Frauen stellen Frank et al. fest:
„Es entscheidet für die Befragten nicht das Vorhandensein eines Symptoms über den Gesundheitszustand, sondern die Fähigkeit, trotz dieses Symptoms Aufgaben zu bewältigen, ohne fremde Hilfe damit umgehen zu können und angstfrei Beschwerden als normale Erscheinungen akzeptieren zu
können. Die befragten Personen sehen sich als Experten des eigenen Wohlbefindens und des eigenen
Körpers“ (1998, S.68).
Deshalb ist es logisch, dass der Umfang der Leistungen, die im Bereich des Laiengesundheitssystems
oder der Selbsthilfe stattfinden, deutlich den professionellen Bereich übersteigt. So werden zwei
Drittel bis drei Viertel aller Gesundheitsprobleme in der Familie oder im sozialen Netz behandelt
(Faltermaier 1998a, S. 14). Eine noch bedeutendere Rolle kommt dem Laiensystem im Bereich des
Gesundheitsschutzes zu. Diese Gesundheitsleistungen werden aber kaum wahrgenommen, weil
sie im Vergleich zu den professionellen Tätigkeiten in das Alltagsleben integriert sind und schwer
sichtbar sind. Darüber hinaus sind viele Tätigkeiten sich wiederholende alltägliche Leistungen wie die
Pflege von chronisch-kranken Angehörigen oder die kontinuierliche Unterstützung eines Kindes mit
einer Behinderung. Sie sind weniger spektakulär als neue Medikamente oder hochtechnische Operationsmethoden. Dieses Laiensystem wird von Professionellen sehr skeptisch bis negativ eingeschätzt.

Frauen als ExpertInnen für
Gesund-Sein


Ein Großteil der Arbeit innerhalb des Laiensystems ist unbezahlt und wird von Frauen geleistet,
vor allem bei familiärer Pflege und Betreuung. Frauen sind dabei die Expertinnen in drei
Aspekten:
sie sind

Gesundheitsversorgerinnen
(providers of health). Sie sind verantwortlich für die Herstellung von Bedingungen, die die
Gesundheit der Familienmitglieder erhalten und für eine schnelle Genesung sorgen.

sie sind die
Gesundheitslehrerinnen
(negotiators of health). Sie vermitteln die richtigen Einstellungen und Verhaltensweisen zur Gesunderhaltung und zum Umgang mit Krankheit.

sie sind die
Gesundheitsvermittlerinnen
(mediators of health). Sie stellen die Verbindung zwischen dem Familiensystem und dem professionellen
Gesundheitssystem her
(Graham 1985 zit. nach
Faltermaier 1998b, S.75)

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