Stiftung LEBENSNERV, FORUM PSYCHOSOMATIK 2/99 |
Teil 2: "Neulich in der Wissenschaft..."
Eine Herangehensweise an Coping-Strategien Betroffener ist die Untersuchung ihrer subjektiven Konzepte über die Entstehung und den Verlauf der Erkrankung. Einen guten Ein- und Überblick zu Strukturen, Funktionen und Effekten subjektiver Krankheitstheorien liefern Filipp & Klauer (1994). Sie zeigen vor allem, wie subjektive Vorstellungen von Betroffenen das krankheitsbezogene Verhalten steuern können.
Das wird vor allem dann besonders nachvollziehbar, wenn man sich die Ergebnisse der Arbeit von Bauer-Wittmund (1996) vor Augen hält. Er stellt nach der Analyse seiner Interviews mit Colitis Ulcerosa-Betroffenen fest, daß die individuellen Vorstellungen in sehr engem Bezug zur Lebens- und Familiengeschichte stehen.
Eben diesen familiären Bezug greift Tienari (1993) auf und betrachtet Krankheit im Gefüge des menschlichen Miteinanders im direkten familiären Umfeld. Er entwickelt eine psychosoziale Typologie, um die Verbindungen zwischen bestimmten Familiendynamiken und Erkrankungen im Rahmen des Konzeptes der "psychosomatischen Familie" besser verstehbar zu machen.
Bislang galt die Ansicht, daß Betroffene, die eine psychosomatisch orientierte Sichtweise auf ihre Krankheit haben, sich auf einem ungünstigen Weg ihrer Krankheitsverarbeitung befänden. Der Grund dafür liegt in der Gefahr, eine "Schuld" für die Erkrankung in sich selbst zu sehen. Faller (1993) kommt jedoch zu dem Ergebnis, daß die (psychosomatischen) Inhalte einer subjektiven Krankheitstheorie nur dann zu schwerwiegenden emotionalen Belastungen führen können, wenn die Betroffenen daraus keine positiven Anknüpfungspunkte entwickeln.
Leider ist insbesondere bei älteren chronisch erkrankten Menschen die Tendenz verbreitet, Schuldzuweisungen für die Erkrankung an sich selbst zu richten (Benedict, 1995). Aus der Tatsache, daß damit sowohl eine erhöhte Depressivität als auch eine schlechtere körperliche Verfassung einhergehen, ergibt sich offenbar die Notwendigkeit, diese Menschen bei der individuellen Neubewertung ihrer Schuldzuweisungen professionell zu unterstützen.
Psychisches und physisches Wohlbefinden läßt sich aktiv steuern. Stiufbergen (1995) kommt nach einer Untersuchung mit MS-Betroffenen zu dem Ergebnis, daß die Befragten, deren Verhalten sich als "gesundheitsförderlich" beschreiben läßt, insgesamt über eine bessere Lebensqualität berichteten, als weniger positiv engagierte Betroffene.
Unterstützend wirksam für eine positive Lebenseinstellung und die Umsetzung dieser Energie ist sicher das Ausmaß des sozialen Rückhaltes für den einzelnen Betroffenen (Rumpf & Wessel, 1995). Auch in dieser Untersuchung läßt sich eine Gruppe von MS-Betroffenen beschreiben, die z. B. durch realistische Sichtweisen auf das persönliche Leben, problemorientiertes Bewältigungsverhalten, Selbstaufbau und Sinnsuche zu insgesamt weniger depressiven Verstimmungen und mehr subjektiv wahrgenommener Lebensqualität kommen.
Zwei andere Arbeiten richten ein besonderes Augenmerk auf den Umgang mit der Erkrankung sowohl von MS-Betroffenen als auch ihrer Partner/innen. Gulick (1995) setzte sich mit Coping-Strategien in solchen Partnerschaften auseinander und fand, daß nicht betroffene Partner/innen bei der Problemverarbeitung mehr Gewicht auf die rationale als auf die emotionale Ebene legen. Bei sehr abhängigen Betroffenen orientierten sich die Partner/innen in Dimensionen wie Planen, Distanzieren, Angst, Flucht. Die größte Neigung, Distanz einzunehmen, zeigte sich in Partnerschaften zwischen zwei MS-Betroffenen.
Zu ihrer Lebensqualität äußerten sich Betroffene und Partner/innen in einer Studie von Aronson (1997). Am unzufriedensten zeigten sich Partner/innen, die mit den Betroffenen verheiratet waren, ihre Partner/innen schon über einen längeren Zeitraum hinweg betreuten und diese/r mit mittleren oder starken Symptomen lebte. Besonders große Unzufriedenheit war verbunden mit einem zum Zeitpunkt der Befragung instabilen Krankheitsverlauf.
Zum Ende dieses Abschnittes sei noch das Thema Streßverarbeitung erwähnt. In einer Laboruntersuchung von Ackermann et al. (1998) wurden MS-Betroffene und eine nicht betroffene Kontrollgruppe einer Streßsituation ausgesetzt. Im Ergebnis zeigte sich, daß sich beide Gruppen weder hinsichtlich physiologischer Korrelate ( z. B. eine erhöhten Konzentration von Streßhormonen im Blut) noch in den subjektiven Angaben zum Streßempfinden unterschieden. Es liegt also nahe anzunehmen, daß sich MS-Betroffene hinsichtlich ihrer Streßreaktionen nicht von anderen Menschen unterscheiden.
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